Offenbarung Kapitel 22
A Erste Predigt: Aufruf zum Bau des Tempels | 1,1-11
Nach Datum und Empfänger der ersten Predigt (1,1), wurde der ganze Missstand rund um den in Trägheit geratenen Überrest Israels angeprangert (1,2-4). Die Missachtung des Alija-Gebotes, das den Bau des Tempels zum eigentlichen Ziel hatte (2Chr 36,23), war eine Auflehnung gegen das Wort Gottes und damit Sünde. Sünde an sich führt letztendlich in den Tod (Röm 6,23), aber Sünden willentlich im Leben zuzulassen, hat für den Gläubigen schon während seiner Erdenzeit negative Konsequenzen (Spr 11,31), bis hin zum physischen Tod. (1Kor 11,30). So machte der HERR dem Volk klar, dass ihre Sünde die Ursache für die Notlage war (1,5-6), aber zeigte sogleich auch den Ausweg daraus auf (1,7-11).
A.1 Datum und Empfänger der ersten Predigt | 1,1
1 Im zweiten Jahr des Königs Darius, im sechsten Monat, am ersten Tag des Monats, erging das Wort des HERRN durch den Propheten Haggai an Serubbabel, den Sohn Schealtiels, den Statthalter von Juda, und an Josua, den Sohn Jozadaks, den Hohenpriester, indem er sprach:
V 1 | Das Jahr wurde nach "König Darius", dem persischen Machthaber zur Zeit Haggais, angegeben. Er kam in einem Streit um die Thronnachfolge Kambyses II. im Jahr 522 v.Chr. an die Macht und regierte bis 486 v.Chr. Er wurde auch Darius der Grosse genannt und war der Vater von Ahasveros, dem Ehemann von Ester (Vgl. Est 2,16). Warum aber werden die Botschaften Gottes nach dem Exil anhand fremder Könige angegeben (Vgl. u.a. Esr 1,1; Neh 2,1; Sach 1,1)? Benedikt Peters schrieb folgendes dazu:
"Auffällig ist, dass das Buch nicht nach den Königen Judas oder Israels datiert wird, sondern nach einem heidnischen König. Warum das? Israel ist nicht mehr Haupt, sondern es ist Schwanz geworden. Die Nationen sind zum Haupt über Israel erhöht (Dt 28,13.44; Dan 2,38). Die „Zeiten der Nationen“ (Lk 21,24) haben angefangen."[1]
Der "sechste Monat" ist im jüdischen Kalender der Monat Elul, wobei der jüdische Kalender auf den Zyklus des Mondes ausgerichtet ist. Der "erste Tag des Monats" markiert dabei immer den Neumond[2], an dem gemäss mosaischem Gesetz ein Gottesdienst gefeiert wird (Num 10,10; 28,11-15; Vgl. 1Sam 20,5.18.24.27; 2Kö 4,23; 1Chr 23,31; 2Chr 2,4; 8,13; 31,3; Ps 81,3; Jes 1,13-14; 66,23; Hes 45,17; 46,1.3.6-8; Hos 2,13; Amos 8,5; Kol 2,16). Die Neumond-Gottesdienste haben dabei immer eine hoffnungsvolle Ausrichtung, da der Mond zu jenem Zeitpunkt unsichtbar ist und dadurch Finsternis herrscht. Von nun an wird das Licht aber zunehmen, bis die volle Leuchtkraft bei Vollmond die Finsternis durchbricht. Wie passend hielt Haggai gerade an diesem Gottesdienst seine erste Predigt, in der es um die Sünde des Volkes und ihre Konsequenzen geht, dabei jedoch einen Weg zurück ins Licht des HERRN gezeigt wird.
"Das Wort des HERRN erging durch den Propheten Haggai" bedeutet, dass die Worte Haggais in ihrer Vollständigkeit den Worten Gottes entspricht. Wörtlich heisst es eigentlich, dass das Wort des HERRN durch die Hand des Propheten Haggai erging und verdeutlicht, dass Haggai in seinem Auftreten sich lediglich als Werkzeug Gottes gebrauchen liess. Jeder Gläubige ist dazu aufgerufen, sich als Werkzeug der Gerechtigkeit hinzustellen (Röm 6,13), indem er in den Werken wandelt, die der HERR zuvor bereitet hat (Eph 2,10).
"Haggai" wird ohne weitere Hintergrundinformationen eingeführt, was auf eine gewisse Bekanntheit seiner Person im Volk hinweist.
"Serubbabel" und "Josua" werden als Empfänger der ersten Predigt genannt. Serubbabel war der politische Leiter und Josua der geistliche Leiter. Natürlich galt die Predigt dem ganzen Volk (Vgl. 1,8), schliesslich wurde sie am Neumondfest-Gottesdienst verkündet, aber in erster Linie musste die Leiterschaft mit dieser Botschaft erreicht werden. Die Leiterschaft ist ein Schlüsselfaktor, um in Zeiten der Finsternis das Licht Gottes zu sehen und ihm zu folgen. Aus diesem Grund steht die Leiterschaft so deutlich im Zentrum des 1. Timotheusbriefes, wo es darum geht, wie man sich im Hause Gottes verhält (1Tim 3,14-16).
Matthias Germann schrieb zu Serubbabel und Josua folgendes:
Serubbabel
Der Name Serubbabel bedeutet "Same Babylons". Dies deutet darauf hin, dass er in Babylon geboren wurde. Sein Vater war Schealtiel und dieser wiederum Sohn von Jojachin (Jekonja oder Konja), dem König von Juda, welcher 597 v.Chr. in die Gefangenschaft nach Babylon geführt wurde. Sein Ururgrossvater war der gottesfürchtige König Josia. Serubbabel war also ein Nachkomme von David und deshalb als Statthalter über Juda gesetzt worden.
Josua
Josua, der Sohn Jozadaks, wurde als Hohepriester eingesetzt. Sein Vater Jozadak war der letzte Priester in Juda, vor dem Exil, der dann 586 v.Chr. nach Babylonien verschleppt wurde (1Chr 5,41). Der Hohepriester war der Leiter des Tempels und der ganzen Rituale. Besonders am Versöhnungstag (Jom Kippur) trat er in Erscheinung. Nur ihm war es gestattet, und dies nur an diesem einen Tag, im Tempel ins Allerheiligste vorzudringen und das Opferblut auf die Bundeslade zu sprengen. Weil unter Serubbabel der Brandopferaltar aufgebaut wurde und so schon Opfer dargebracht werden konnten, war es nicht möglich den Versöhnungstag zu feiern, weil es dazu einen Tempel brauchte.
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[1] Benedikt Peters, Das Alte Testament verstehen, S. 214
[2] Martin Buber übersetzt hier daher ganz jüdisch "in der sechsten Mondneuung, am ersten Tag auf die Neuung".
A.2 Die Sünde | 1,2-4
2 So spricht der HERR der Heerscharen und sagt: Dieses Volk spricht: Die Zeit ist nicht gekommen, die Zeit, dass das Haus des HERRN gebaut werde.
V 2 | Nach V 1 wurde noch einmal unterstrichen, dass es der HERR war, der jetzt sprach: "So spricht der HERR"[1]! Das Wort Gottes war von jeher schon gewesen (Vgl. Joh 1,1), das heisst lange vor dem Menschen. Und der Mensch tut gut daran dem HERRN stets das erste Wort zu überlassen, dabei gut zuzuhören und nicht gleich zu antworten. Daher schreibt der Apostel Jakobus in Bezug auf das Wort Gottes, dass jeder Mensch schnell zum Hören und langsam zum Reden sein soll (Jak 1,19), denn er ist der "HERR der Heerscharen"[2].
Der HERR sprach von "diesem Volk" und nicht von Seinem Volk. Die anfängliche Erweckung jener Generation war mit dem aufkommenden Widerstand nach kurzer Zeit verpufft und nun lebte das Volk in einer Distanz zum HERRN. Dies zeigte sich auch daran, dass sie ihre Häuser nicht in Jerusalem in der Nähe des Tempels bauten, sondern sich in der Umgebung ansiedelten (Vgl. Neh 4,6).
Die Distanz kam daher, weil sie aufgehört hatten "das Haus des HERRN" zu bauen, obschon sie von Gott dazu beauftragt wurden. Der HERR zitierte dabei ihre Begründung, nämlich, dass einfach nicht die richtige "Zeit" dafür wäre. Das mag nach einer gewissen Weisheit klingen und wird auch heute in ähnlichen Formen oft so gesagt, aber es ist eigentlich eine ärmliche Ausrede. Denn, sobald der HERR Seinen Willen offenbart hat, ist es für den Menschen immer die richtige Zeit, Seinen Willen zu tun. Es ist daher ein wichtiges Gebet, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun (Mt 7,21; Röm 12,2; Eph 5,17; Kol 1,9-10).
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[1] 20x heisst es bei Haggai "spricht der HERR" (1,2.5.7.8.9.13; 2,4.6.7.8.9.11.14.17.23).
[2] Der bevorzugte Titel der nachexilischen Propheten: 14x bei Haggai (1,5.7.9; 2,4,6,7,8,9,11,23), 52x bei Sacharja und 24x bei Maleachi.
3 Und das Wort des HERRN erging durch den Propheten Haggai, indem er sprach:
V 3 | Ein weiteres Mal wurde unterstrichen, dass "der HERR sprach". Diese Wiederholung bekräftigte den Kontrast, der sich im nachfolgenden Vers zeigen wird. Vorhin hatte der HERR das Volk zitiert, nun sprach er Seine eigenen Worte. Wenn der Mensch dieses sagt, während der HERR etwas anderes sagt, sollten beim Menschen sämtliche Alarmglocken läuten. Gott ist die Messeinheit, Sein Wort ist das Messmittel und der Gläubige sollte sich immer wieder daran prüfen und ausrichten (Vgl. Jos 1,8; Ps 119,105).
4 Ist es für euch selbst Zeit, in euren getäfelten Häusern zu wohnen, während dieses Haus wüst liegt?
V 4 | Der HERR redete dem Volk mit einer Gegenfrage ins Gewissen: Für "sein Haus" war seit 16 Jahren nicht die richtige Zeit, aber für "eure Häuser" schon? Die Worte "euch" und "euren" ist im Grundtext hervorgehoben, womit die Ich-Zentrierung des Volkes noch mehr unterstrichen wurde.
Das hebräische Wort für "getäfelt" beschreibt sehr teures Holz, das für die Innenausstattung verwendet wurde. Dieses Wort wird im AT mit nur einer Ausnahme immer für den Tempel verwendet (1Kö 6,9; 7,3.7; bei Jer 22,14 in Bezug auf den Palast Jojakims). Auf Grund dessen wird deutlich, dass das Volk das ursprünglich für den Tempel bereitgestellte Holz für ihre eigenen Häuser verwendete. Die meisten Häuser im AT bestanden lediglich aus Steinblöcken, die mit einer Art Pflaster versiegelt wurden und nur die Reichen konnten sich eine solche Innenauskleidung mit Holz leisten. Nun hatte das Volk aber das kostbare Zedernholz vom Libanon genommen, das eigentlich für den Tempel angeschafft wurde (Vgl. Esr 3,7), um die Umgebung Jerusalems mit teuren Häusern zu besiedeln. Der Prophet Jesaja sprach ein grosses Wehe darüber aus, wenn das Land nur mit dem Bau von Häusern übersät wird (Jes 5,8). Wie anders war da die Gesinnung von König David, der nicht in einem Haus aus Zedern leben wollte, währenddessen die Bundeslade in der Stiftshütte weilte (2Sam 7,1-2).
Was lernt der Christusgläubige daraus? Nun, auch der Gläubige sucht aus sich heraus nur das Seine und nicht das, was Jesu Christi ist (Phil 2,21). Auch der Gläubige tendiert aus sich heraus im Geist zu beginnen, aber im Fleisch zu vollenden (Gal 3,3), so wie das beim Volk Israel zur Zeit Haggais der Fall war. Es ist sogar so, dass je mehr das Ich im Zentrum steht, desto mehr muss der Bau der Gemeinde hinten anstehen. Das Bauen der eigenen Häuser geschah ja auf Kosten des Tempels und in dieser Gefahr steht der Gläubige tagtäglich, nämlich seine Prioritäten zu Lasten der Gemeindearbeit falsch zu verschieben. Nur wer in Christus bleibt und Er in ihm, bringt viel Frucht im Werk des HERRN Jesus (Joh 15,5) und damit auch im Bau Seiner Gemeinde.
A.3 Die Krankheit durch die Sünde | 1,5-6
5 Und nun, so spricht der HERR der Heerscharen: Richtet euer Herz auf eure Wege!
V 5 | Nach der Situationsanalyse markierte das "Und nun" die Folgerung aus der Situation (so auch später in 2,4.15), jetzt wurde die Wirklichkeit aus der Sicht des "HERRN der Heerscharen" gedeutet. Wiederum hiess es, dass "der HERR spricht" und Er forderte auf: "Richtet euer Herz auf eure Wege!" Der Ausdruck "Richtet euer Herz" findet sich fünf Mal im vorliegenden Buch (1,5.7; 2,15.18) und bedeutet das Nachfolgende zu verinnerlichen, besondere Aufmerksamkeit zu schenken und darüber nachzudenken. Hier sollte das Volk ihr Herz auf ihre "Wege" richten. In Hinblick auf 1,6 bedeutete das auf die letzten 16 Jahre zurückzuschauen und zu beurteilen, wie es ihnen seit der Vernachlässigung des Tempelbaus ergangen ist. Sie sollten genau darüber nachdenken und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.
6 Ihr habt viel gesät und wenig eingebracht; ihr esst, aber nicht zur Sättigung; ihr trinkt, aber nicht zur Genüge; ihr kleidet euch, aber es wird keinem warm; und der Lohnarbeiter erwirbt Lohn für einen durchlöcherten Beutel.
V 6 | Der HERR führte nun fünf Gegensätze auf, die das Volk zum intensiven Nachdenken bringen sollten:
Viel säen |
Wenig ernten |
|
Essen |
Nicht satt werden |
|
Trinken |
Durstig bleiben |
|
Kleiden |
Nicht warm werden |
|
Arbeiten |
Sich nichts leisten können |
Gemäss 1,11 war eine Dürreperiode der Ursprung all dieser Gegensätze der Armut und des Mangels. Dabei sollte gerade im August kein Mangel herrschen, wie Thomas Ehlert wie folgt ausführt:
"Dass eine Dürreperiode Hunger und Durst nach sich zieht, ist offenkundig. Weil die Getreideernte Anfang Juni eingebracht wurde, waren die Folgen der Missernte, als Haggai im August erstmalig auftrat, allen vor Augen."[1]
Es wurde zwar ausreichend "gesät", aber durch die Dürre konnte kaum etwas verwertbares "eingebracht" werden und mit dem wenigen Essen kam niemand zur "Sättigung".
Mit dem Trinken ist weniger an Wasser zu denken, sondern an Wein (Vgl. 1,11). Der Wein war durchaus ein Grundnahrungsmittel, da das Wasser nicht immer sauber war und daher oft mit Wein verdünnt wurde, um Keime abzutöten (Vgl. 1Tim 5,23). Wein war auch eine wichtige Kalorien- und Nährstoffquelle, besonders in Gegenden mit wenig frischem Wasser.
Das Volk konnte sich zwar "kleiden", aber "niemand" wurde dadurch "warm". Dies kam einerseits von der Nahrungsknappheit, die den täglichen Energiehaushalt des Körpers nicht decken konnte. Andererseits führte der finanzielle Mangel (siehe nächster Gegensatz) dazu, dass auch nur sehr spärlich Kleidung gekauft werden konnte. "Niemand" wurde warm zeigt, dass die Auswirkungen sich vollumfänglich über das Volk erstreckten.
"Lohnarbeiter" waren da, es gab also genügend und auch bezahlte Arbeit. Das Problem war, dass der "Lohn" wie bei einem "durchlöcherten Beutel" sogleich wieder verschwand. Die Dürre trieb die Inflation drastisch in die Höhe und so ergab viel Mühe einen Lohn, der in jener Wirtschaftslage kaum einen Wert hatte.
Die Situation des Mangels und der Armut war allen bewusst, die Frage ist jetzt nur, ob ihnen auch das Warum klar war. Das Volk sollte sich diesen Missstand ja vor Augen führen, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen (1,5). War es Zufall? War es Pech? Die Weise, wie der HERR die Gegensätze aufzählt, hätte sie bereits auf die richtige Spur führen sollen, denn im mosaischen Gesetz heisst es: "Viel Samen wirst du aufs Feld hinausführen; aber du wirst wenig einsammeln, denn die Heuschrecke wird es abfressen. Weinberge wirst du pflanzen und bebauen; aber Wein wirst du weder trinken noch einsammeln, denn der Wurm wird ihn fressen." (Dt 28,38-39)
Der erste und der dritte Gegensatz war Teil des Fluches, den der HERR bei Ungehorsam des Volkes androhte. Die Wurzel der Armut war also fürwahr nicht zufälliger oder unglücklicher Natur, sondern auf den Ungehorsam des Volkes zurückzuführen und damit war der kollektive Mangel selbstverschuldet. Alle diese Gegensätze waren Krankheitssymptome ihrer Sünde. Auf der anderen Seite bedeutete das aber auch, dass das Volk die Möglichkeit hatte durch Gehorsam wieder zu Wohlstand zu kommen. Aus diesem Grund stellte der HERR dem Volk im nachfolgenden Vers das einzige Heilmittel vor, um die Krankheitssymptome behandeln und beheben zu können.
Zuvor soll aber wieder ein Übertrag auf den Gläubigen der Gemeinde gemacht werden. Leider wird an dieser Stelle einmal mehr oft kein Unterschied zur Gemeinde gemacht, so dass ein materielles Wohlstandsevangelium abgeleitet wird. Natürlich ist der HERR der Geber aller guten Gaben (Jak 1,17) und wir dürfen und sollen für die materiellen Dinge dankbar sein, die uns der HERR aus seiner Gnade heraus reichlich darreicht (1Tim 6,17). Aber die Verheissungen für die Gemeinde liegen nicht im materiellen, sondern im geistlichen Bereich und so müssen wir den vorliegenden Vers ins Geistliche übertragen.
Viel säen und wenig ernten: Auch für uns gilt, dass was wir säen, werden wir auch ernten (Gal 6,7). Wir können viel säen, aber wenn wir für unser Fleisch säen, das heisst auf unseren eigenen Interessen und Begierden, dann ernten wir nur Verderben. Säen wir aber für unseren erneuerten Geist, ernten wir auch vom Geist und zwar für unser ewiges Leben (Gal 6,8).
Essen und nicht satt werden, trinken und durstig bleiben: Das Essen und insbesondere der Wein stehen in der Bibel oft für die Freude des Menschen (Vgl. Ps 104,15; Pred 9,8). Es ist aber nur eine bleibende Freude, wenn das Essen und Trinken dankbar aus Gottes Hand genommen wird und Er Wohlgefallen am Tun des (gläubigen) Menschen hat (Pred 9,8). Der HERR stellt im Predigerbuch die Frage "Denn wer kann essen und wer kann genießen getrennt von mir?" (Pred 2,25). Die wahre Freude, die ihren Bezug auch zu den irdischen Dingen hat, kommt alleine aus der gesunden Gottesbeziehung heraus. Daher konnte Nehemia schreiben, dass die Freude am HERRN unsere Stärke ist (Neh 8,10) und Paulus, dass wir uns allezeit freuen sollen (Phil 4,4).
Kleiden und nicht warm werden: Wir können wandeln wie am Tag, indem wir den Herrn Jesus Christus anziehen und damit in der Wärme des Tages unterwegs sind. Wir können aber auch wandeln wie in der Nacht, in dem wir uns auf die Begierden unseres Fleisches ausrichten (Vgl. Röm 13,13-14). Dann sind wir aber der Kälte der Nacht ausgesetzt, denn so laufen wir nicht unter der barmherzigen Hand Gottes.
Arbeiten und sich nichts leisten können: Die Welt hat genug Arbeit, aber getrennt von Gott kann der Mensch sich höchstens vergänglichen Reichtum und Ansehen der Menschen verdienen, aber nichts mit Ewigkeitswert. Gerhard Maier schrieb treffend dazu:
"So also ist der Mensch ohne Gott. Was er tut, kann wohl Ehre und Auszeichnungen bringen, vielleicht sogar vergänglichen Reichtum. Aber am Ende gilt wortwörtlich, was Jesus so ausdrückte: Sie haben ihren Lohn dahin (Mt 6,2). Es fehlen die Schätze bei Gott (Mt 6,20; Lk 12,21). Deshalb kommt trotz aller Mühe am Ende nichts heraus."
Alle diese geistlichen Krankheitssymptome können beim Christusgläubigen hervorbrechen, der dem göttlichen Befehl des Gemeindebaus eine tiefe oder sogar keine Priorität einräumt. Daher ist das nachfolgende Heilmittel auch für den Gläubigen der Gemeinde ein unverzichtbarer Wegweiser.
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[1] Thomas Ehlert, Das Buch Haggai Edition C, S. 101
[2] Gerhard Maier, Wuppertaler Studienbibel Prophet Haggai, S. 38
A.4 Das Heilmittel | 1,7-11
7 So spricht der HERR der Heerscharen: Richtet euer Herz auf eure Wege!
V 7 | Wir haben praktisch eine Wiederholung von V 5 vor uns. Zuerst wurde in der Predigt Haggais bekräftigt, dass der "Herr der Heerscharen spricht" und zum zweiten Mal forderte Er das Volk dazu auf, "ihr Herz auf ihre Wege zu richten". In Zusammenhang mit V 6 sollten sie gründlich darüber nachdenken, wie es ihnen seit der Vernachlässigung des Tempelbaus ergangen ist. Es war also ein Nachdenken über die Vergangenheit und damit ein prüfender Blick zurück. In Zusammenhang mit V 8, sollte das Volk nun aber nach vorne schauen, sprich ein prüfender Blick in die Zukunft richten. Dieses Mal ging es darum genau darüber nachzudenken, welchen Weg sie in Zukunft gehen möchten.
8 Steigt auf das Gebirge und bringt Holz herbei und baut das Haus, so werde ich Wohlgefallen daran haben und verherrlicht werden, spricht der HERR.
V 8 | Der HERR machte klar deutlich, welches Sein Weg und damit der Weg des Segens fürs Volk war. Wie ein Posaunenstoss erschallten diese drei Befehle aus dem Mund Gottes:
"Steigt auf das Gebirge"! Sie sollten sich in Bewegung setzen, der HERR forderte ihren vollen Einsatz. Mit dem Gebirge ist das judäische Gebirge gemeint, das zu jener Zeit noch bewaldet war (Vgl. Neh 8,15).
"Bringt Holz herbei"! Das Holz, das sie für ihre eigenen Häuser verwendet haben, war nun verarbeitet und konnte nicht mehr für den Tempel verwendet werden. Sie durften das Holz jetzt auch nicht mehr von den Sidoniern und Tyrern aus dem Libanon importieren lassen, wie sie das ursprünglich gemacht hatten (Esr 3,7), sondern mussten es mit den eigenen Händen beschaffen. Damit ist auch endgültig klar, dass diese Predigt zwar an die Leiterschaft gerichtet war (1,1), in seinem Inhalt aber das ganze Volk betraf.
"Baut das Haus"! Nicht die eigenen Häuser (Vgl. 1,4), sondern das Haus des HERRN (Vgl. 1,2.4) zu bauen war der Kern des Heilmittels. Auf das Gebirge zu steigen und Holz herbeizubringen hatte das alleinige Ziel das Haus des HERRN zu bauen, so wie es der HERR bereits 18 Jahre zuvor verordnet hatte (2Chr 36,23; Esr 1,2). Jung und Alt, Klein und Gross, Mann und Frau, das ganze Volk stand unter diesem göttlichen Gebot.
Die drei Tätigkeiten "steigen", "herbeibringen" und "bauen" stehen in einem Kontrast zu den Tätigkeiten in 1,6 (säen, essen, trinken, kleiden, arbeiten), die alle nur ins Leere liefen. Bei diesen drei Tätigkeiten jedoch hatte der HERR "Wohlgefallen daran" und würde dadurch "verherrlicht werden". Wählt das Volk diesen Weg, würden sie in ihre Bestimmung zurückkommen, den HERRN mit ihrem Tun zu verherrlichen (Vgl. Dt 26,18-19; Jes 43,7). Die Verse 7 und 8 sind damit das Herz der ersten Predigt Haggais und werden daher umrahmt mit "So spricht der HERR der Heerscharen" und "spricht der HERR".
Auch hier findet der Christusgläubige viele Einsichten über den Gemeindebau nach den Gedanken Gottes. Das vor dem "Bauen" gesetzte "Steigen" und "Herbeibringen" unterstreicht die Arbeit (Vgl. 1Kor 15,58), die mit dem Bau des Hauses Gottes verbunden ist. Gemeindebau ist keine Freizeitaktivität, die einen Ausgleich zu unseren Alltagspflichten schafft. Echter Gemeindebau ist geprägt von Fleiss, Einsatz und Hingabe und daher braucht die Gemeinde Arbeiter im HERRN (Vgl. 2Tim 2,15) und keine Freizeitmitglieder.
Mit dem "Holz" hatte der HERR das Baumaterial vorgegeben, so wie das Haus Gottes immer nach einem Bauplan des HERRN gebaut werden soll. Bei der Gemeinde sollen wir mit Gold, Silber und Edelsteinen bauen (1Kor 3,12). Das Material spricht dabei von den Arbeitern der Gemeinde, die gemäss ihren Werken verschiedenwertig beschaffen sind (Vgl. Kla 4,1-2). Es sind also durchaus nicht alle zum Gemeindebau zugelassen (Vgl. Esr 4,1-3; 1Kor 3,17)!
Beim Bauplan ist nicht nur das Material vorgegeben, sondern auch die Form und damit der Zweck. Die verschiedenen Tempel der Heilsgeschichte haben teilweise unterschiedliche Zwecke und nach diesen sollte sich der Gläubige orientieren. Wie oft wurde in der ganzen Kirchengeschichte bis heute der Auftrag der Gemeinde verkehrt! Ganze Auslegungssysteme trichtern den Gläubigen ein, die Gemeinde müsse die Welt verändern. Diese sogenannte Kingdom-Now Theologie[1] verwässert den wahren Auftrag der Gemeinde, nämlich die Gemeinde zu bauen. Wie zur Zeit Haggais wird der HERR auch heute durch den Bau des Hauses Gottes verherrlicht (Eph 3,21) und nicht durch unseren Einfluss in oder gar durch Politik und Gesellschaft. So schreibt auch Arno Froese:
"Viele Ansprachen, Predigten, Bücher und Artikel sprechen von der Veränderung der Welt durch das Evangelium. Aber in Wirklichkeit ist das nur Wunschdenken. Wir sind nicht berufen, die Welt zu ändern. Wir sind nicht einmal fähig, irgendetwas zu verändern – nicht unser Land, unsere Stadt und nicht einmal unsere eigene Familie, wie viele von uns erfahren haben. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Welt zu ändern oder zu beeinflussen; wir sollen das Haus Gottes bauen."[2]
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[1] Die Kingdom-Now Theologie lehrt, dass Christen bereits jetzt das Reich Gottes auf Erden errichten sollen, indem sie Gesellschaft, Politik und Kultur nach biblischen Prinzipien gestalten. Mit dem Amillenialismus, der das Friedensreich als ein gegenwärtiges geistliches Reich der Gemeinde sieht, entstanden die ersten Gedanken zur Kingdom-Now Sicht. Der Postmillenialismus entwickelte dieses Gedankengut weiter, bis es im 20. Jahrhundert durch Ströme aus der charismatischen Bewegung im sogenannten Dominionismus auf die Spitze getrieben wurde. Leider hat sich die Kingdom-Now Krankheit heute auch weit in den Prämillenialismus hineingefressen.
[2] Arno Froese, Die Prophetie für Juda, S. 108
9 Ihr habt nach vielem ausgeschaut, und siehe, es wurde wenig; und brachtet ihr es heim, so blies ich hinein. Weshalb das?, spricht der HERR der Heerscharen. Wegen meines Hauses, das wüst liegt, während ihr lauft, jeder für sein eigenes Haus.
V 9 | Um zu unterstreichen, dass nur Sein Weg der Weg des Segens war, richtete der HERR den Blick des Volkes noch einmal in die Vergangenheit. "Ihr habt nach vielem ausgeschaut", sie hatten also grosse Erwartungen an die damalige Ernte nach so vielen Jahren der Missernten. Aber "es wurde wenig" durch Getreidebrand, Vergilben und Hagel (2,17), und das, was sie noch nach Hause bringen konnten, da "blies ich hinein". Durch die Armut und den grossen Hunger, zerfloss die verbleibende Frucht des Feldes unmittelbar nach der Ernte richtiggehend in ihren Händen. Was der HERR in V 6 mit den Verweisen auf das mosaische Gesetz nur implizierte, stellte er nun allen unmissverständlich klar: "Ich blies hinein". Der Mensch tut, aber es ist der HERR, der das Ergehen des Menschen bewirkt (Vgl. Spr 16,9; Jer 10,23). Wollte das Volk den Weg des Segens, dann führte kein Weg an demjenigen vorbei, der Segen und Fluch in Seiner Macht hält.
Vielleicht wollten einige nach dem Warum fragen. "Weshalb das?" kam der HERR ihnen zuvor. "Wegen meines Hauses, das wüst liegt." Das Vernachlässigen des Tempelbaus war der alleinige Grund für alle aufgezählten Krankheitssymptome. Was dem Menschen vielleicht gering erscheint, erachtet der HERR als enorm wichtig und nur darauf kommt es an.
"Während ihr lauft" zeigt, dass das Volk durchaus nicht faul und untätig war. Das hier verwendete Wort für "laufen" kann man nämlich auch mit "rennen" übersetzen (Hi 16,14; Dan 8,6; Joel 2,4.7.9; Amos 6,12) und das Substantiv als Läufer (u.a. 1Sam 22,17; 1Kö 14,27; Jer 51,31) oder sogar als Eilbote (Est 3,13.15; 8,10.14). Sie sind mit Elan, Energie und Motivation gerannt, aber nicht für das Haus Gottes, sondern "jeder für sein eigenes Haus". Ihre Interessen und ihr Besitz trieb sie an zu rennen und verschlang ihre ganze Zeit, "während" der Tempel "wüst da lag". Es heisst explizit, dass "jeder" für die eigenen Dinge gerannt ist und daher war diese erste Predigt auch so direkt an Serubbabel und Josua gerichtet. Die Leiterschaft benötigte ebenfalls eine Neujustierung der Prioritäten (Vgl. 1,14).
Wie treffend ist dieses Bild auch in der heutigen Zeit, insbesondere in der westlichen Welt. Es wird gerannt, aber kaum für das Reich Gottes. Es wird angepackt und Überstunden gearbeitet, aber selten im Gemeindebau. So hört man auch heute oft die Ausrede, dass eben einfach die Zeit dazu fehlt (Vgl. 1,2).
10 Darum hat der Himmel den Tau über euch zurückgehalten und die Erde ihren Ertrag zurückgehalten.
V 10 | "Darum" bezog sich auf das Rennen für die eigenen Häuser, während das Haus Gottes vernachlässigt wurde. Das ist der Grund, warum "der Himmel den Tau über euch zurückgehalten hat". Der Himmel an sich hat natürlich keinen eigenen Willen, noch verfährt er nach einem für sich stehenden Gesetz. Für den Juden war klar, dass der Himmel alleine dem HERRN gehorcht (Ex 16,4; Dt 4,39; 10,14; 1Kö 8,35; Ps 19,2; Mal 3,10) und der ausbleibende Regen ein Fluch des Ungehorsams war (Lev 26,19; Dt 11,17; 28,23).
Gleiches gilt dafür, dass "die Erde ihren Ertrag zurückgehalten hat". Wie der Himmel, so gehorcht die Erde nur dem Schöpfer aller Dinge (Gen 1,11-12.24; Dt 4,39; 10,14), auch wenn der Mensch alles vorschnell sogenannten Naturgesetzen zuschreibt. Dabei ist es der HERR, der den Erdboden öffnet oder verschliesst und Sein Verschliessen gehört ebenfalls zum Fluch des Ungehorsams unter dem mosaischen Gesetz (Lev 26,19; Dt 11,17; 28,23).
11 Und ich habe eine Dürre gerufen über das Land und über die Berge und über das Korn und über den Most und über das Öl und über das, was der Erdboden hervorbringt, und über die Menschen und über das Vieh und über alle Arbeit der Hände.
V 11 | "Und ich habe eine Dürre gerufen" beschwert die Ironie der Situation: Das Volk gab den Umständen die Schuld, dass es nicht die Zeit wäre, das Haus Gottes zu bauen (1,2), in Wahrheit aber waren die Umstände die Folge ihres Ungehorsams das Haus Gottes nicht zu bauen. Dies zeigt sich auch im vorliegenden Wortspiel, denn "wüst liegen" (1,9) klingt im Hebräischen sehr ähnlich wie "Dürre" ("choreb" und "chareb"). Weil also das Haus des HERRN "wüst lag", rief der HERR die "Dürre". Die nachfolgende Beschreibung ist in ihrem Sinn weniger eine Naturkatastrophe, sondern in Wahrheit viel mehr eine Gotteskatastrophe, die der HERR im mosaischen Gesetz androhte (Dt 28,51).
Mit "Land" ist das Land Judäas gemeint, wo sich die Rückkehrer aus dem babylonischen Exil ansiedelten. Mit den "Bergen" ist wiederum das judäische Gebirge gemeint, das wie bereits erwähnt zu jener Zeit bewaldet war und daher eine Holzressource darstellte (Vgl. Neh 8,15).
Folgende Erzeugnisse des Landes werden im Einzelnen hervorgehoben: "Korn", das kohlenhydrathaltige Grundnahrungsmittel. "Most", der unvergorene Wein, sprich Traubensaft. "Öl", hauptsächlich frisches Olivenöl.
"Das, was der Erdboden hervorbringt", umschliesst sämtliche Frucht des Bodens und sollte das Volk an den Fluch des Sündenfalles erinnern (Gen 3,17). Bereits bei Adam hatte sich der Fluch durch Ungehorsam am Erdboden gezeigt, der zugleich ein Fluch für den "Menschen" ist. Auch hier wieder ein Wortspiel im Hebräischen: "Erdboden" = Adamah, "Mensch" = Adam.
Alle "Arbeit der Hände" war der Unproduktivität unterworfen, ja selbst das "Vieh" war durch die Sünde des Volkes betroffen. Die Sünde hat eben nicht nur den Menschen befallen, sondern die ganze Schöpfung, die seit dem Sündenfall unter den Auswirkungen der Sünde in Geburtswehen leidet (Röm 8,22).
Die erste Predigt Haggais, die er im Gottesdienst des Neumondfestes am 29. August 520 v.Chr. hielt, kam damit zu einem Ende. Eine erschütternde, aber äusserst klare Botschaft von Seiten des Gottes Israels. Wie das Volk darauf reagierte, hat uns Haggai im nächsten Abschnitt seines Buches festgehalten.
B Wirkungsbericht: Gehorsam des Volkes | 1,12-15
Die Verse 12-15 dieses Kapitels beinhalten die einzige Reaktion des Volkes auf eine Predigt Haggais innerhalb des vorliegenden Buches. Es beginnt mit der Antwort des Volkes auf die erste Predigt (1,12), gefolgt vom anschliessenden Wirken Gottes (1,13-14a), das wiederum die Grundlage für den letztendlichen Gehorsam des Volkes bildete (1,14b-15). Dieser Wirkungsbericht illustriert beispielhaft die einzelnen Schritte einer geistlichen Erweckung:
1. Hören des Wortes Gottes
2. (Ehr-) furcht vor dem Herrn
3. Gegenwart und Wirken des Heiligen Geistes
4. Gehorsam durch Tun des Wortes Gottes
B.1 Die Antwort des Volkes | 1,12
12 Und Serubbabel, der Sohn Schealtiels, und Josua, der Sohn Jozadaks, der Hohepriester, und der ganze Überrest des Volkes hörten auf die Stimme des HERRN, ihres Gottes, und auf die Worte des Propheten Haggai, so wie der HERR, ihr Gott, ihn gesandt hatte; und das Volk fürchtete sich vor dem HERRN.
V 12 | Wie in 1,8 deutlich gemacht, galt die erste Predigt dem ganzen Volk. So ist nun verzeichnet, wie "Serubbabel" und "Josua" als politische und geistliche Leiterschaft sowie das restliche Volk auf jene Predigt reagierten. Wie ist der Begriff "Überrest des Volkes" zu verstehen? Das Bibel-Lexikon schreibt folgendes darüber:
"Das Wort "Überrest" trägt im AT überall, wo es vorkommt, die Bedeutung "Rest des Volkes". In jeder Krise der Geschichte Israels gab es einen Überrest. Er wurde zur Zeit Ahabs gefunden (1. Kö 19,18) wie auch bei der Einführung des Christentums (Lk 2,38). Dass es ihn auch in der Zukunft geben wird, ist völlig ersichtlich aus dem Zeugnis der Propheten. Es wird einen großen Wohlstand im Land geben und Gott wird es dem Überrest seines Volkes zum Besitztum geben (Sach 8,12; Offb 12,17). Wenn Gottes Volk seiner Berufung untreu ist, erreicht er sein Ziel in einem Überrest. Die prophetische Sprache, in der der Geist Christi in den Psalmen spricht, ist nicht die Sprache der Masse Israels, sondern die des Überrestes. Auch wird der Überrest zuerst in den Psalmen als von der gottlosen Nation unterschieden gesehen. Der Gedanke des Überrestes findet sich auch im Sendschreiben an die Versammlung in Thyatira wieder. Zu diesem Überrest (den "Übrigen") wird gesagt: "Doch was ihr habt, haltet fest, bis ich komme" (Offb 2,24.25). Sie stellen die Treuen in der Zeit der Oberherrschaft des vom Papst dominierten abfallenden Systems dar. Ein Überrest stellt moralisch gesehen das ursprüngliche Ganze dar und beinhaltet nicht den Gedanken an einen minderwertigen verbleibenden Teil des Volkes. Es ist Gottes Gnade, dass überhaupt welche befähigt worden sind, während eines allgemeinen Abfalls von der ursprünglichen Wahrheit und Berufung diesen standhaft zu bleiben."[1]
Der "Überrest des Volkes" beschreibt also nicht einen kleinen Teil derjenigen, die die erste Predigt hörten, sondern das hörende Volk als Ganzes (Vgl. 2,4). Sie waren dem Ruf Gottes gefolgt und sind aus Babylon zurück in ihr Land gezogen und bildeten damit den gläubigen Überrest.
Leiterschaft und Volk haben "auf die Worte des Propheten Haggai" gehört und darin gleichermassen "die Stimme des HERRN" gesehen, womit das "und" dazwischen eine erklärende Funktion einnimmt. Das Volk hatte erkannt, dass "der HERR ihn gesandt hatte" ihnen diese Predigt zu verkündigen.
Das Wort "hören" geht hier viel weiter als nur das akustische Hören. So schrieb Reinhard Briggeler im Zuge seiner Betrachtungen über das "Schma Israel" folgendes:
"Das erste Wort dieses Bekenntnisses ist "Schma" (höre), ein Wort mit vielerlei Bedeutung und Anwendung und ist im biblischen Kontext bezüglich Gewicht und Vieldeutigkeit zu vergleichen mit dem Wort "toledot". Es ist von diesem Wort, warum dieses Glaubensbekenntnis bzw. Gebet seinen Namen hat. Für "Gehorsam" gibt es im alten Hebräisch kein eigenes Wort, sondern es wird eben dieses Wort "Schma" verwendet. Zu hören heisst also gehorchen."[2]
Es ist auffällig, dass es im ganzen Buch vom Volk nirgends heisst, dass der HERR "ihr Gott" gewesen ist, jedoch in diesem Wirkungsbericht gleich drei Mal (1,12 (2x); 1,14). Beginnt der Mensch den Worten Gottes mit einer Bereitschaft zum Gehorsam zuzuhören, macht er den HERRN zu seinem Gott. Ansonsten ergeht es ihm wie Saul, der den HERRN niemals seinen Gott nennen konnte (Vgl. 1Sam 15,15.21.30).
Dieser erste elementare Schritt des Hörens mit der Bereitschaft zum Gehorsam, führte zum nächsten Schritt in Richtung des Segens: "Das Volk fürchtete sich vor dem HERRN". "Furcht" als Folge des Hörens findet sich oft im mosaischen Gesetz (Dt 17,13; 19,20; 21,21; 31,12-13) und entstand in erster Linie, weil das Volk wusste, von wem diese Botschaft kam, nämlich vom HERRN der Heerscharen. Aber nicht nur das, sondern auch weil das Volk der Botschaft inhaltlich recht geben musste. Sie haben ihre Schuld verstanden und eingesehen und daher ist "Furcht" im Zusammenhang von Schuldeinsicht mehr als nur Ehrfurcht. Es ist die Furcht vor dem Zorn Gottes und dem Fluch, der sich aus dem Tun-Ergehen Prinzip ergibt. Es ist die Furcht vor dem grossen, heiligen Gott etwas falsch gemacht zu haben, ja sogar seinen Bund gebrochen zu haben. Dieser Gedanke wird dadurch unterstrichen, dass es wörtlich übersetzt eigentlich heisst "das Volk fürchtete sich vor dem Angesicht des HERRN" (so bspw. auch in Ex 9,30 verwendet). Das Angesicht des HERRN ist die dem Menschen zugewandte und von Ihm erfahrbare Seite. Wenn der HERR sich Seinem Volk im Gericht zuwendet, dann ist "Furcht" eine berechtigte Reaktion.
Möge auch der Christusgläubige in Hinblick auf den Richterstuhl Christi (2Kor 5,10) in einer gesunden Furcht vor dem HERRN leben, denn auch im NT heisst es, dass der HERR ein verzehrendes Feuer ist (Hebr 12,29) und es furchtbar ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr 10,31).
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[1] Bibel-Lexikon auf bibelkommentare.de
[2] Reinhard Briggeler, Notizen zu Deuteronomium Teil 3 Stage TWO
B.2 Das Wirken Gottes | 1,13-14a
13 Da sprach Haggai, der Bote des HERRN, kraft der Botschaft des HERRN zum Volk und sagte: Ich bin mit euch, spricht der HERR.
V 13 | Das einleitende Wort "Da" unterstreicht die Abfolge, wie Erweckung geschieht. Diese Reihenfolge ist nicht vertauschbar, es muss beim gehorsamsbereiten Hören des Menschen beginnen, welches in ihm eine (Ehr-) Furcht auslöst. Erst dann kommt der nächste Schritt, den Haggai als "Bote des HERRN" in einer kurzen, aber kraftvollen "Botschaft des HERRN" mitteilte: "Ich bin mit euch!" Gibt der HERR dem Menschen diese Zusage, wendet er ihm die segensreiche Seite seines Angesichts zu. Es ist die erlösende Zusage für den Zustand der Furcht, die wir an vielen Stellen in der Bibel finden (u.a. Gen 15,1; Dt 3,2; Ri 6,23; Jes 43,1; Kla 3,57; Hag 2,5; Lk 1,30; Offb 1,17). Sie war auch die Bestätigung für das Volk, dass sich durch den Bau des Tempels der Fluch in Segen umwandelt. "Geht diesen Weg und ich werde euch durch meine Gegenwart segnen", "sprach der HERR" hier in anderen Worten. Diese Zusage der Gegenwart Gottes war nicht nur im AT von Bedeutung (u.a. Ps 23,4; 91,15; Jes 43,2), sondern auch im NT (Mt 28,20). Dazu schrieb Ger de Koning:
"Wenn der HERR dabei ist, gibt es die Garantie für Hilfe, Schutz, Kraft und Segen. Wer Ihn hat, hat alles. Es gibt keine größere Ermutigung, eine Aufgabe zu erfüllen, besonders wenn es ein Tag der Schwäche ist, als die Worte des HERRN Jesus: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters“ (Mt 28,20). Selbst in den besten Tagen gibt es nichts Besseres. Es ist das einzige Wort, das zu dem sich fürchtenden Volk gesprochen wird. Aber es bedeutet alles."[1]
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[1] Ger de Koning, Haggai Kommentar auf kingcomments.com
14a Und der HERR erweckte den Geist Serubbabels, des Sohnes Schealtiels, des Statthalters von Juda, und den Geist Josuas, des Sohnes Jozadaks, des Hohenpriesters, und den Geist des ganzen Überrestes des Volkes.
V 14a | Dass mit der zugesicherten Gegenwart Gottes der Heilige Geist gemeint ist, zeigt sich später in 2,5. Und ist der Heilige Geist dem Menschen nahe, dann wirkt Er auch. Er ist eine dynamische Kraft (Apg 1,8; Röm 15,13; 2Tim 1,7), die den "Geist" des Menschen "erwecken" kann. Dieser Begriff beschreibt nicht eine Bekehrung, sondern dass der Geist den Menschen dazu erweckt, den Willen Gottes zu tun. Das kann durchaus auch auf Ungläubige zutreffen, denn wir finden diesen Begriff auch auf heidnische Könige und Völkerschaften angewandt (u.a. 1Chr 5,26; 2Chr 21,16; 2Chr 36,22; Jer 50,9; 51,1.11).
In der vorliegenden Begebenheit, wurde "der Geist Serubbabels, Josuas und des ganzen Überrestes des Volkes erweckt". So ging es auch hier nicht um eine Bekehrung, die in ihrem Fall spätestens beim Auszug aus Babylon geschah (Vgl. Esr 1,5), sondern um ein Aufwachen zurück zum Willen Gottes, wie V 14b gleich bestätigen wird.
Es ist eine eindringliche Warnung an den Christusgläubigen, dass die Leiterschaft wie auch die restliche Gemeinde einschlafen und damit unempfänglich für den Willen Gottes werden können. Daher ist das Gebet für das aufweckende und wachhaltende Wirken des Heiligen Geistes immer wieder wichtig, insbesondere für die Leiterschaft.
B.3 Der Gehorsam des Volkes | 1,14b-15
14b Und sie kamen und arbeiteten am Haus des HERRN der Heerscharen, ihres Gottes,
V 14b | Der finale und entscheidende Teil einer Erweckung ist der Gehorsam, der sich in der Tat zeigt. Nach der erschütternden ersten Predigt Haggais "kamen sie und arbeiteten am Haus des HERRN der Heerscharen, ihres Gottes". Im Begriff "HERRN der Heerscharen" steckt die Furcht, im Begriff "ihres Gottes" der Gehorsam, beides zeugt von der wahren Erweckung, die das Volk erlebte. Damit durchlief das Volk auch die Schlagworte, die das "Schma Israel" in Dt 6,1-6 durchzieht:
Reden Gottes |
Dt 6,1-2 |
Hag 1,12 |
Hören |
Dt 6,4 |
Hag 1,12 |
Zu Herzen nehmen |
Dt 6,6 |
Hag 1,5.7 |
Fürchten |
Dt 6,2 |
Hag 1,12 |
Segen |
Dt 6,3 |
Hag 1,13 |
Tun |
Dt 6,1.3 |
Hag 1,14 |
Es ist davon auszugehen, dass die Aufgabenteilung dieselbe wie bereits bei der Grundlegung des Tempels war. Dort hatte Serubbabel die organisatorische Verantwortung, während Josua die Bauaufsicht führte (Vgl. Esr 3,8-10). Wie muss man sich aber die Mitarbeit des Volkes vorstellen? Haben sie ihre eigene Arbeit in Handwerk und insbesondere in Landwirtschaft vom einen Tag auf den anderen stehen lassen, um ganzheitlich am Tempel zu arbeiten? Thomas Ehlert schrieb dazu:
"Diese Mitarbeit des Volkes wird man sich am ehesten so vorzustellen haben, wie man sie durch die Organisation des Tempeldienstes in Israel schon gewohnt war (1Chr 24,1-19). Ein Arbeiter hilft für eine bestimmte Zeit beim Tempelbau mit, also etwa eine Woche lang, und sorgt in den übrigen drei Wochen für sein privates Einkommen, also für die Bestellung des Feldes oder sein handwerkliches Gewerbe."[1]
Dies kann der Christusgläubige auf sich anwenden. Er muss nicht Vollzeit in die Gemeindearbeit investieren, nur wenige sind dazu berufen. Grundsätzlich hat man eine Berufstätigkeit, um sein Einkommen zu sichern, aber einen Teil der Zeit sollte der Gemeindearbeit zugesprochen werden. Dieses Bewusstsein ist Voraussetzung für einen erweckten Geist, genauso wie die Notwendigkeit der Gnade Gottes. Nur so konnte Paulus in Bezug auf seine Arbeit im Gemeindebau folgendes schreiben: "sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war." (1Kor 15,10b)
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[1] Thomas Ehlert, Das Buch Haggai Edition C, S. 135
15 am vierundzwanzigsten Tag des sechsten Monats, im zweiten Jahr des Königs Darius.
V 15 | Für den HERRN war dieser Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Tempelarbeit so wichtig (Vgl. 2,15), dass er das Datum durch den Heiligen Geist hat aufschreiben lassen, nämlich "den vierundzwanzigsten Tag des sechsten Monats, im zweiten Jahr des Königs Darius". Das entspricht dem 21. September 520 v.Chr. und damit waren exakt 23 Tage seit der ersten Predigt Haggais am Neumondfest vergangen. Das Volk hatte die Predigt 23 Tage verinnerlicht, genau darüber nachgedacht (Vgl. Hag 1,5.7) und sind danach ganzheitlich umgekehrt. Dies ist biblisch gesehen eine seltene Besonderheit, nur wenige Propheten durften es so eindrücklich erleben, dass auf ihre Botschaft so konsequent gehört wurde. Wie sieht es heute aus? Im Kollektiv wohl kaum anders, aber jeder Gläubige hat bei jeder Predigt neu die Möglichkeit zu entscheiden, ob er hören, zu Herzen nehmen, fürchten und schliesslich den Willen Gottes tun will.
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