Philemon Kapitel 1

Autor: Briggeler Reinhard
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A Eröffnungsgruss: Gefangenschaft und Partnerschaft | 1-3

1 Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, Philemon, dem Geliebten und unserem Mitarbeiter,

V 1a | "Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder" In der Antike begann ein Brief stets mit der Vorstellung des Absenders, was im Vergleich zu unserer heutigen Praxis, den Namen erst am Ende zu nennen, weitaus sinnvoller erscheint. Paulus folgte diesem Muster und nannte sich selbst direkt zu Beginn als Verfasser des Briefes. Bemerkenswert ist, dass er sich hier nicht als Apostel bezeichnete - im Gegensatz zu vielen anderen seiner Briefe wie Römer, 1. und 2. Korinther, Galater, Epheser oder Kolosser. Er hätte das tun können (V 8), doch er wollte nicht aus einer Position der Autorität sprechen, sondern von Herz zu Herz, auf Augenhöhe mit Philemon.

Paulus bezeichnete sich als "Gefangener Christi Jesu" und erinnerte Philemon daran, dass er um des Evangeliums willen in römischer Gefangenschaft war. Doch Paulus verfiel nicht in Selbstmitleid. Da ist die richtige Perspektive entscheidend. Paulus sah sich nicht als Gefangener Roms, sondern als "Gefangener Christi Jesu"! Der Apostel sah sich in Gottes Händen – und nicht in den Händen seiner römischen Wächter. Regierungen und Menschen waren für ihn Werkzeuge in Gottes Plan, und selbst seine Gefangenschaft betrachtete er als Gelegenheit, fruchtbar zu sein für das Werk des HERRN. Es war in dieser 2-jährigen Gefangenschaft in Rom, in der er die Briefe an die Epheser, Philipper, Kolosser, Philemon und Hebräer schrieb. Diese Briefe verändern bis heute das Leben unzähliger Menschen für immer und lassen göttliche Frucht entstehen. Er schrieb jedoch nicht nur Briefe, sondern verkündigte das Evangelium (Apg 28,30-31) und hatte Gemeinschaft (Koinonia). Daher trat er hier (wie so oft) im Team auf und führte "Timotheus"[1] als zweiten Absender an.

V 1b | "Philemon, dem Geliebten und unserem Mitarbeiter," "Philemon" wurde als erster Empfänger des Briefes aufgeführt. "Philemon" war ein geliebter Freund und Mitarbeiter des Apostels und wohnte in Kolossä. Sein Name bedeutet "Liebender" (von gr. phileo). Er wurde von Paulus als "der Geliebte" bezeichnet. Paulus hatte damit primär der von Gott geliebte gemeint. Das war ein starkes Zeugnis, das natürlich die Liebe der Mitgläubigen zu Philemon einschloss. Wir sehen auch Philemons Liebe zum Werk des HERRN, denn er wurde von Paulus als "Mitarbeiter" bezeichnet. Paulus kannte Philemon von seinem 3-jährigen Aufenthalt (Apg 20,31) in Ephesus während seiner 3. Missionsreise (52-57 n.Chr.) her. In dieser Zeit wurden viele Gemeinden gegründet (siehe u.a. die Gemeinden der Sendschreiben in Offb 2-3), darunter auch die Kolosser Gemeinde durch Epaphras[2] (Kol 1,7). Man kann stark davon ausgehen, dass Epaphras von Philemon bei dieser Gemeindegründung begleitet wurde, dies wird auch von den weiter aufgeführten Empfängern in V 2 gestützt.

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[1] Die Bibel gibt uns keine zusammenhängende Biographie von Timotheus, wie wir sie beispielsweise von David, Joseph, Daniel oder anderen finden. Er nimmt im NT auch keinen grossen Platz ein, war aber ein wichtiger und verlässlicher Mitarbeiter im apostolischen Team des Paulus. Er wird im insgesamt 24x im NT erwähnt, davon 6x in der Apg und 18x in den Briefen. Timotheus wird in sechs Briefen als Mitabsender genannt (2Kor; Phil; Kol; 1+2Thess; Phlm).

[2] Epaphras ("lieblich" oder "liebenswürdig") wird in mehreren Briefen des Apostels Paulus erwähnt. Er wird als treuer Diener des Christus (Kol 1,17), beständiger Gebetskämpfer (Kol 4,12) und als engagierter Mitarbeiter des Paulus dargestellt (Kol 4,12-13; Phlm 23). Epaphras stammte wahrscheinlich aus Kolossä (Kol 4,12), einer Stadt in der römischen Provinz Asia (heutige Türkei). Paulus nannte ihn einen "geliebten Mitknecht" (Kol 1,7), was seinen Dienst am Werk des Herrn meint. Epaphras spielte eine Schlüsselrolle bei der Gründung der Gemeinde in Kolossä und vermutlich auch bei den Gemeindegründungen in Laodizea und Hierapolis (Kol 4,13). In Phlm 23 wurde er zudem als "mein Mitgefangener in Christus Jesus" bezeichnet, was darauf hinweist, dass Epaphras auch bereit war, für das Evangelium Verfolgung zu erleiden. Sein Dienst war nicht nur lokal begrenzt; er hatte eine weitreichende Wirkung, indem er sich für die Gemeinden in der Region einsetzte.

2 und Apphia, der Schwester, und Archippus, unserem Mitkämpfer, und der Versammlung in deinem Haus:

V 2 | In einem christlichen Haushalt liegt die Autorität primär bei den Eltern (Vater/Mutter) und nicht bei den Kindern, d.h. der Elternteil ist aus biblischer Sicht über der Position des Kindes einzustufen. Auch ist die Pflege der Ehebeziehung die primäre Aufgabe der Eltern und Kindererziehung die sekundäre Aufgabe! Dieser Prioritäten-Hierarchie[1] folgend, sprach Paulus nun die Hausherrin "Appiah" (Frau des Philemon) an. Als solche, war sie direkt von der Flucht des Sklaven Onesimus betroffen und deswegen wollte Paulus auch sie von Anfang an in den Versöhnungsprozess mit einbinden.

Der nächstgenannte Empfänger ist "Archippus", seinerseits Sohn des "Philemon" und der "Appiah". Paulus bezeichnete ihn als "unseren Mitkämpfer", d.h. ein Mitkämpfer im Werk des HERRN. Offensichtlich hatte "Archippus" eine führende Rolle in der Gemeinde und war geachtet in der Familie. Beste Voraussetzungen, um bei der Umsetzung der Bitte von Paulus eine wichtige Rolle zu spielen.

Als letztes sprach Paulus die "Versammlung in deinem Haus" an. Philemon war ein wohlhabender Mann und im Besitz eines Hauses, das gross genug war um die "Versammlung" (Gemeinde) zu beherbergen. In der damaligen Zeit konnten nur Mitglieder der Oberschicht oder wohlhabende Bürger solche Ressourcen bereitstellen. Bis zum 3. Jhdt. gab es keine speziell für den Gottesdienst errichteten Gebäude. Die Christen trafen sich in Privathäusern, da sie oft noch keine offizielle Anerkennung hatten und teilweise Verfolgung ausgesetzt waren. Hausgemeinden boten daher einen sicheren und vertrauten Ort für Lehre, Gebet, Gemeinschaft und das Feiern des Abendmahls. In grossen Städten gab es mehrere solcher Versammlungen (Vgl. Röm 16,5.10.11.14.15) Ob die Gemeinde in Kolossä mehr als einen Versammlungsort hatte, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war dies jedoch der Fall. Die Tatsache, dass Paulus die "Versammlung in deinem Haus" als Adressat anführte, zeigt an, dass Paulus die Angelegenheit zwischen Philemon und Onesimus nicht als etwas privates verstand, sondern dass es alle Beteiligten betraf. Alle Adressaten wurden takt- und liebevoll durch Paulus aufgefordert, ihren Teil an Liebe, Vergebung und Annahme beizutragen. Paulus verstand diesen Versöhnungsprozess zwischen Philemon und Onesimus als einen gemeinschaftlichen, auf dem Evangelium der Gnade gegründeten (Heilungs-) Prozess, der eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen wird.

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[1] Philemon – Apphia – Archippus – Gemeinde

3 Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

V 3a | "Gnade euch und Friede von Gott." Dies ist der typische Gruss der paulinischen Briefe. "Gnade" (gr. charis) ist das grundlegende und ewige Prinzip des Heilshandeln Gottes und beschreibt entsprechend die Güte Gottes, die SEINEM Handeln und Wirken vor Grundlegung der Welt zu Grunde liegt. Paulus erinnerte die Empfänger daran, dass alles, was Christen besitzen oder erleben – einschliesslich ihrer Erlösung –, ein Geschenk der Gnade Gottes ist. "Friede" (gr. eirēnē) ist das Ergebnis der Gnade Gottes.

Dieser "Friede" (hebr. Shalom) umfasst Begriffe wie Wohlergehen, Ganzheit, Harmonie, Fülle und Vollständigkeit. Die Reihenfolge ist wichtig: Gnade kommt immer zuerst, denn sie ist die Grundlage für den Frieden des Christusgläubigen.

V 3b | "von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!" Paulus offenbarte die Quelle von "Gnade und Friede", sowohl "Gnade" als auch "Friede" stammen von "Gott, unserem Vater" und "dem Herrn Jesus Christus"! Dies offenbart nicht nur die Einheit zwischen "Gott", dem "Vater" und dem Sohn Gottes (Vgl. Joh 10,30), sondern auch, dass der HERR Jesus mit "Gott" dem "Vater" stellungsgleich ist, indem er Gnade und Friede austeilt, was einzig der Dreieinigkeit Gottes vorbehalten ist.

Paulus nannte den ganzen Erlösernamen des Sohnes Gottes: "Herrn Jesus Christus". "HERR" (Kyrios) meint den Ewigen Bundes-Gott und den Richter aller Dinge. "Jesus" (hebr: Jeschua, "der HERR rettet") verweist auf die menschliche Natur Jesu und Seine Rolle als Erlöser. Obwohl ER Gott ist, hielt Er es nicht wie einen Raub fest, Gott gleich zu sein, sondern machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt (Menschsein) an. Als wahrer Knecht Gottes wurde ER, obwohl ohne Sünde, für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in Ihm (Vgl. Phil 2,5; 2Kor 5,21). "Christus" (griech: Christos, hebr: Maschiach, "der Gesalbte") verweist auf den ewigen Messias-Gottes, der in den Heiligen Schriften durch den Heiligen Geist mannigfaltig angekündigt worden ist.

"Der dritte Vers scheint eine bekannte Floskel von Paulus zu sein und in der Tat grüsst Paulus sehr oft auf diese Weise, aber es ist niemals eine Floskel! Paulus möchte hier einmal mehr weg von den Stellungen kommen und spricht hier von der Gnade Gottes, die Philemon mit Paulus gleichermassen verbindet. Dort sind sie auf der gleichen Ebene, beide stehen nämlich gleichermassen in der unermesslichen Gnade des Herrn und nur durch diese Gnade, die in Christus zu Paulus und zu Philemon kam, kann der Friede kommen, der für diese Situation unverzichtbar ist. Merken wir, wie Paulus das Herz von Philemon für seine Bitte vorbereitet? Übrigens stehen du und ich in derselben Gnade. Das verbindet dich mit mir, das verbindet dich mit dem Pastor, das verbindet dich mit der Leiterschaft, das verbindet dich mit Jung und Alt, mit Mann und Frau in der Gemeinde und durch Christus haben wir den Friedefürsten in unserer Mitte. Nur aus diesem Grund ist es möglich, dass wir als Gemeinde einander stets in Liebe und Vergebung begegnen können."[1]

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[1] Michael Briggeler, Predigtnotizen Philemonbrief

B (Wertschätzung) Gebet für und Freude über Philemon | 4-7

Mit diesem Abschnitt verfolgte Paulus zwei zentrale Absichten im Rahmen des gesamten Briefes. Erstens dankte er Gott für Philemons vorbildlichen Glauben. Zweitens nutzte Paulus diesen Abschnitt, um Philemon auf die Bitte vorzubereiten, die er später in V 17 vorbringen wird.

4 Ich danke meinem Gott, indem ich dich allezeit erwähne in meinen Gebeten,

V 4 | Paulus begann viele seiner Briefe mit Dank und Lobpreis gegenüber Gott (Vgl. Röm 1,8; 1Kor 1,4; Phil 1,3). Hier bezog sich sein Dank konkret auf Philemons Glauben und Liebe, wie es durch die folgenden Verse noch deutlich werden wird.

Das Wort "allezeit" hebt hervor, dass Paulus keine Gelegenheit auslies, Gott für Philemon zu danken. Es betont nicht, dass Paulus ununterbrochen für Philemon betete (wie in einem endlosen Fluss von Gebeten), sondern, dass er in seinen regelmässigen Gebetszeiten bewusst Philemon erwähnte. "Allezeit" steht hier also für eine beständige und bleibende Haltung der Dankbarkeit Gott gegenüber, schliesst aber auch mit ein, dass das Zeugnis des Philemon beständig vorbildlich war.

Aus diesem können wir vieles für unser persönliches Gebetsleben lernen. Wenn der Apostel Paulus in seinen Gebeten an Philemon dachte, erfüllte ihn dies nicht mit Sorgen, sondern mit grosser Dankbarkeit. Oft neigen wir dazu, Gott vor allem unsere Sorgen vorzutragen und insbesondere für diejenigen zu beten, die mit Problemen kämpfen. Es ist jedoch ebenso biblisch, Gott für unsere Glaubensgeschwister zu danken, die uns im Glauben stärken. Beispielsweise könnten wir beten: "Danke, Herr, für meinen Pastor und die Predigt, die ich heute hören durfte!" oder "Danke, Herr, für meinen Jugendleiter, der sich so sehr in mein Leben investiert und mich auf meinem Weg begleitet!"

5 da ich höre von deiner Liebe und von dem Glauben, den du an den Herrn Jesus und die du zu allen Heiligen hast,

V 5 | Die Grundlage dieses Dankes war Philemons Liebe und Glaube. Darüber wurde dem Paulus zweifellos durch Epaphras (Kol 1,7-8) und wahrscheinlich auch durch andere berichtet. Das Objekt von Philemons Liebe waren alle Heiligen, und die Quelle seiner Liebe war der HERR Jesus. Die Satzstruktur ist chiastisch (Vgl. Eph. 1,15; Kol. 1,4). Das bedeutet, dass das erste und vierte Element dieses Verses zusammengehören, ebenso wie das zweite und dritte. Das ergibt folgende Spiegelstruktur:

A Liebe (zum Herrn Jesus)
    B Glaube (an den Herrn Jesus und Sein Wort)
    B' Glaube (Werke des Glaubens in Bezug auf alle Heiligen)
A' Liebe (zu allen Heiligen)

Erläuterung der Struktur:

A und A' (Liebe):
Die Liebe richtet sich sowohl auf den Herrn Jesus (A) als auch auf die Heiligen (A'). Die beiden Aspekte der Liebe sind untrennbar miteinander verbunden.

B und B' (Glaube):
Der Glaube hat zwei Dimensionen: Der persönliche Glaube an den HERRN Jesus (B) und der Glaube, der sich durch Werke im Umgang mit den Heiligen erzeigt (B').

Anhand dieser Struktur erkennen wir die unabdingbare Abhängigkeit von Liebe und Glauben in unserer Beziehung zu Gott und den Menschen. Philemon hatte dieses göttliche Prinzip verstanden und verinnerlicht. Diese Agape-Liebe – eine gottgewirkte, willentliche und selbstlose Liebe – zeigte Philemon sowohl gegenüber dem Herrn Jesus Christus als auch gegenüber seinen Glaubensgeschwistern in der Gemeinde. Diese beiden Dimensionen der Liebe sind untrennbar miteinander verbunden. Es ist nicht möglich, Gott zu lieben, ohne auch die Geschwister in der Gemeinde zu lieben. Johannes hat dies später ebenfalls unmissverständlich klargestellt: "Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, so ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er gesehen hat, wie kann der Gott lieben, den er nicht gesehen hat?" (1Joh 4,20)

6 dass die Gemeinschaft deines Glaubens wirksam werde in der Anerkennung (Erkenntnis) alles Guten, das in uns ist gegen Christus Jesus.

V 6 | Nun erfahren wir, wofür Paulus in seinen Gebeten für Philemon betete. Erstens, dass die "Gemeinschaft[1] des Glaubens wirksam werde". Wir sehen wie eng Glaube und Gemeinschaft (Koinonia) miteinander verbunden sind, denn der Glaube wird erst durch Werke wirksam und beweist in der Folge die Echtheit unserer Liebe, denn "in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe wirksam ist." (Gal 5,6)

Zweitens betete Paulus für die "Anerkennung (epignosis = Erkenntnis) alles Guten, das in uns ist gegen Christus Jesus." Diese Erkenntnis, d.h. die gesunde Lehre des Evangeliums war bei Philemon vorhanden, daher erinnerte Paulus ihn daran: "Du hast die Theorie intus, du weisst, wie du dich in der Gemeinschaft mit deinen Geschwistern verhalten sollst und daher bete ich, dass durch deinen Glauben diese Theorie weiterhin in die Praxis kommt!". Der ganze Philemonbrief setzt diese Theorie aus Briefen wie dem Epheser, Philipper und Kolosser voraus, daher könnte man ihn auch als einen Brief für Fortgeschrittene bezeichnen. Ohne Lehre ist es uns nicht möglich, so zu leben, wie es Jesus von uns möchte!

In allen Gefangenschaftsbriefen des Paulus gipfelten seine Gebete für die Empfänger in diesem Wort epignosis (Erkenntnis). Epignosis ist das Ergebnis eines Heilig-Geist gewirkten Glaubens, der sich in Werken der Liebe manifestiert (Vgl. Eph 3,14-19; Kol 1,9-11).

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[1] Koinonia ist ein griechisches Wort, das im biblischen Kontext Gemeinschaft, Teilhabe, Verbundenheit und ein aktives Anteilnehmen am Leben der Glaubensgeschwister meint. Paulus nannte dies die "Gemeinschaft des Glaubens". Es beschreibt Einheit und Leben der Gläubigen, die durch ihren Glauben an das vollkommene Erlösungswerk des HERRN Jesus Christus und durch die Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist auf ewig miteinander verbunden sind.

7 Denn ich hatte große Freude und großen Trost durch deine Liebe, weil die Herzen der Heiligen durch dich, Bruder, erquickt worden sind.

V 7 | Paulus war erfüllt von "grosser Freude und grossem Trost", als er von Philemons Liebe und Glauben erfuhr. Das Wort "Herzen" meint wörtlich die "inneren Gefühle" oder "das Innerste" einer Person. "Erquickt" bedeutet "ruhen lassen", "erneuern" oder "erfrischen". Paulus lobte hier Philemons aussergewöhnlichen Dienst am Werk des HERRN, nämlich die Heilig-Geist gewirkte Befähigung, aufgrund seines Glaubens und seiner Liebe, in seinen Glaubensgeschwistern Ruhe, Erfrischung, Wiederherstellung und Stärkung zu wirken. Es waren genau diese Eigenschaften, die Paulus in der Folge von Philemon einfordern wird in Bezug auf Onesimus. Dies wird Philemon sehr herausfordern, dennoch war Paulus zuversichtlich, dass Philemon bereit sein wird, seiner Bitte zu entsprechen. Paulus wandte sich nicht von oben herab an ihn, sondern als gleichberechtigter "Bruder" – eine Ebene, die er auch in V 2 betonte, als er Apphia seine "Schwester" nannte.

 

Mit diesem Vers schloss Paulus die Einführung ab. In nur sieben Versen gelang es Paulus auf absolut meisterhafte Weise, das Herz Philemons anzusprechen und ihn behutsam auf die bevorstehende und herausfordernde Bitte vorzubereiten.

C (Für-) Bitte für Onesimus – Philemons Schuld | 8-10

8 Deshalb, obgleich ich große Freimütigkeit in Christus habe, dir das zu gebieten, was sich geziemt,

V 8 | Nun kam Paulus zum eigentlichen Anliegen seines Briefes und stellte gleich zu Beginn klar, dass er eigentlich nicht bitten müsste, sondern das Recht hätte, "zu gebieten was sich geziemt". Dieses Recht stammte nicht von Menschen, sondern von "Christus" selbst. Es wäre vollkommen in Ordnung gewesen, hätte Paulus seine Autorität genutzt. Doch er verzichtete bewusst darauf – und das aus einem bestimmten Grund: "um der Liebe willen" (V 9).

Aber warum wählte Paulus diesen umständlicheren Weg, wenn ein kurzer Befehl ausgereicht hätte? Der Grund lag darin, dass es Paulus nicht um sich selbst ging, sondern um Philemon. Paulus gab Philemon die Möglichkeit, in der Liebe und im Glauben persönlich zu wachsen. Es ging ihm darum, dass Philemon gesegnet wird, wenn er das Richtige tut. Ein gleiches Prinzip sehen wir auch in der Beziehung des Paulus zu den Philippern, die ihn materiell unterstützten: "Nicht, dass ich die Gabe suche, sondern ich suche die Frucht, die überströmend sei für eure Rechnung." (Phil 4,17) Paulus ging es also um die "Frucht" im Leben des Philemon, d.h. um die aus Liebe und Glauben gewirkten Werke, und den daraus resultierenden überreichen Segen Täter des Wortes gewesen zu sein.

Hier muss angemerkt werden, dass diese Herangehensweise nicht bei allen Gläubigen die beste Möglichkeit ist. So sehen wir gerade bei Paulus verschiedene Tonarten in seinen Briefen. Bei den Korinthern hätte diese sanfte Art beispielsweise überhaupt nichts gebracht, da die Gemeinde für solche praktische Glaubensschritte (auch in Bezug auf Finanzangelegenheiten, siehe 2Kor 11,7-12) gar nicht bereit war. Doch Philemons Reife im Glauben war eine andere! Daher begann Paulus seine Bitte mit dem Wort "Deshalb" und bezog sich damit auf die Liebe und den Glauben Philemons, die der Apostel in V 5 angeführt hatte.

9 so bitte ich doch vielmehr um der Liebe willen, da ich nun ein solcher bin wie Paulus, der Alte, jetzt aber auch ein Gefangener Christi Jesu.

V 9 | Die Bitte des Paulus war weitaus kraftvoller, als ein Befehl es je hätte sein können, denn sie gründete in der Agape-Liebe, welcher wiederum das Evangelium zu Grunde liegt. Darum trug Paulus seine Bitte vor, "um der Liebe willen". Dieser Ausdruck bezieht sich nicht auf Philemons Liebe zu Paulus oder der Liebe des Paulus zu Philemon, sondern meint das göttliche Motiv der Agape-Liebe, das allem Handeln Gottes zu Grunde liegt und welches wirksam ist zu allen Zeiten und an allen Orten. So schrieb Paulus an die Epheser: "Gott aber, der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe, womit er uns geliebt hat." (Eph 2,4) An diese Liebe, die durch den Geist Gottes in Philemon wirksam war, appellierte der Apostel, denn diese Liebe ist Argument genug und weitaus das stärkste Motiv, das es geben kann, denn es ist im HERRN Jesus Christus gegründet, der die Liebe Gottes personalisiert - Gott ist Liebe!

Gottes Liebe in uns ist verschwenderisch und grosszügig! Sie wägt nicht ab und handelt spontan. Es ist nicht die Pflicht (Gehorsam), die uns zur Liebe bewegt – vielmehr ist es die Liebe, die uns zur Erfüllung unserer Pflichten antreibt! Genau an diese Liebe appelliert der Apostel.

"da ich nun ein solcher bin wie Paulus, der Alte, jetzt aber auch ein Gefangener Christi Jesu." - Nun appellierte Paulus an die Freundschaft, die über Jahre hinweg zwischen Philemon und dem Apostel gewachsen war. Diese Worte gehören zu den persönlichsten, die in seinen Briefen zu finden sind. Um uns dies vor Augen zu führen, möchte ich die Verse 8 und 9 in eigene Worte fassen: "Philemon, ich bin im Begriff, dich um etwas zu bitten, wozu ich das Recht hätte, es zu befehlen. Doch ich appelliere nicht an dein Pflichtbewusstsein, sondern an deinen Glauben und deine Liebe zu Gott und den Menschen. Wenn du meine Bitte erwägst, dann bedenke bitte, dass ich ein alter Mann bin und mich in Gefangenschaft weit entfernt von zu Hause befinde."

In seiner Bitte bezog sich Paulus auf seine Umstände und auf sein Alter. Er war nicht wirklich alt, wenn man nur die Jahre zählt – er war etwa sechzig – aber er war durch seinen aufopferungsvollen und strapaziösen Dienst am Werk des HERRN sicherlich gezeichnet. Zudem war er sich bewusst, dass sein Auftrag jederzeit zu einem Ende kommen könnte. Paulus schrieb an die Philipper: "Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn." (Phil 1,21) Aber was hatte das mit Philemons Entscheidung zu tun, Onesimus wieder aufzunehmen? Paulus warf alles in die Waagschale, was bei seinem Freund Gewicht haben wird. Es ist, als hätte Paulus dem Philemon sagen wollen: "Nicht mehr lange werde ich hier sein, um dich um etwas zu bitten; nicht mehr lange wirst du die Gelegenheit haben, mir Freude und Trost zu schenken. Gerade auch in diesen meinen widrigen Umständen der Gefangenschaft wäre ich um deinen Trost und deine Ermutigung froh."

Mit dem Alter, einer Bitte Nachdruck zu verleihen, mag in der heutigen Zeit eigenartig erscheinen, da Achtung und Respekt gegenüber dem Alter leider nicht mehr denselben Stellenwert haben, wie es die biblische Vorgabe eigentlich meint. Für den geistlich reifen Philemon jedoch, war dieses Argument Herzensangelegenheit und somit von grosser Bedeutung.

10 Ich bitte dich für mein Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln, Onesimus.

V 10a | Im Verhältnis zur Länge des Briefes hatte der Apostel viel Zeit aufgewendet, um auf den Punkt zu kommen, aber jetzt war er an diesem Punkt angelangt und bat Philemon unmissverständlich, Onesimus wieder aufzunehmen.

"Ich bitte dich für …Onesimus." Das aussergewöhnliche Taktgefühl, das der Apostel in seinem Brief bisher bewiesen hatte, zeigte sich auch an dieser Stelle deutlich. Tatsächlich handelt es sich hierbei um den entscheidenden Satz des gesamten Briefes. Jetzt wagte Paulus es, den kontroversen Namen zu nennen - doch alles hing davon ab, wie er es formulierte. Die Wortreihenfolge im ursprünglichen Text deutet darauf hin, dass er zögerte, diesen Namen niederzuschreiben. Aus diesem Grund stellte er ihn nicht an den Anfang, sondern platzierte ihn bewusst ans Ende des Satzes. Erstaunlich: Der Name "Onesimus" ist nicht nur das abschliessende Wort dieses Satzes, sondern kommt im ganzen Philemonbrief nur einmal vor, an eben dieser Stelle.

Im Philipperbrief ermutigte Paulus die Leser, in der Gesinnung Christi zu leben. Was er damit meinte, wird an dieser Stelle besonders deutlich: Wäre Onesimus hypothetisch die angesehenste Persönlichkeit seiner Zeit gewesen oder gar der Sohn des Paulus, der vom rechten Weg abgekommen wäre und für den man nun hätte eintreten müssen, hätte der Apostel nicht mehr Hingabe und liebevolle Fürsorge zeigen können, wie er es für Onesimus getan hatte. Onesimus war keineswegs angesehen – im Gegenteil, er war höchstens für seinen Unnutz und für seine Vergehen bekannt. Er stand am äussersten Ende der sozialen Skala, weit entfernt von Paulus: arm, unwissend und verachtet. Und doch nahm sich der grosse Heidenapostel, der weiss Gott viel um die Ohren hatte, viel Zeit für diesen entlaufenen Sklaven und überschüttete diesen Mann mit seiner väterlichen Liebe – so wie einst die Frau ihr kostbares Salböl über Jesus goss, Seine Füsse mit Tränen benetzte, sie mit ihren Haaren trocknete und nicht aufhörte die Füsse des HERRN zu küssen (Lk 7,36-50). Es ist diese verschwenderische Agape-Liebe, die den HERRN Jesus dazu bewegte, Knechtsgestalt anzunehmen, um für die Geringsten und Niedrigsten zu sterben. Nur wenn diese göttliche Liebe durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen wird (Röm 5,5), können wir unsere Glaubensgeschwister so achten und lieben, wie es Paulus an Onesimus demonstrierte. Wie wahr sind Jesu Worte: "Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt." (Joh 13,35) (Vgl. Joh 15,12-13.17; 1Kor 13,1-3; Gal 5,13-14; 1Joh 3,10-11; 4,7-8.20-21) Es ist die praktizierte Agape-Liebe, die eine Gemeinde auszeichnet, etwas, das die Welt weder nachahmen noch fälschen kann.

V 10b | "mein Kind, das ich gezeugt habe in den Fesseln" - Wie bereits erläutert, hatte sich Onesimus durch den Dienst des Paulus bekehrt. Das Wort "Kind" hat in diesem Zusammenhang zwei zentrale Bedeutungen, die für die Entscheidung von Philemon und seiner Familie von grosser Bedeutung sein wird. Zum einen beschreibt es das geistliche Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Paulus und Onesimus, da Paulus ihn "in den Fesseln gezeugt" hatte. Zum anderen weist es auf die geistliche Unreife von Onesimus hin, der als Neubekehrter darauf angewiesen war, in eine gesunde Gemeinde aufgenommen zu werden. Nur dort konnte er geistlich wachsen und sich im Glauben weiterentwickeln.

Auch wenn Paulus als Gefangener litt, war es für ihn trotz des Leidens eine fruchtbare Zeit, denn Geist und Wort sind nicht gebunden (2Tim 2,9). Dieser Vers lehrt uns, dass Leiden eine Quelle grosser Fruchtbarkeit sein kann. Wie schon erwähnt, verfasste Paulus in der Zeit seiner Gefangenschaft in Rom fünf Briefe, welche Millionen von Christusgläubigen gestärkt, gewurzelt und auf den Tag Christi hin vorbereitet haben. Wenn wir dies erkennen, kann sich unsere Perspektive bezüglich Leiden verändern. Seine Gefangenschaft war ein Segen, denn sie führte zur "Zeugung", d.h. zur Wiedergeburt von Onesimus und zur Entstehung dieses Briefes, der die bibeltreuen Christen bis auf den heutigen Tag fasziniert.

D Onesimus zu Philemon zurückgesandt | 11-14

11 der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist,

V 11 | Dieser Vers lässt sich auf zwei Arten zusammenfassen. Erstens: Vergangenheit und Gegenwart des Onesimus mit Christus als Trennlinie. "der dir einst unnütz (achrēstos[1]) war, jetzt aber dir und mir nützlich (euchrēstos) ist" Paulus beschrieb den Zustand des Onesimus v.Chr., und den Zustand n.Chr. Sein Name bedeutete zwar "nützlich", doch für Philemon war er genau das Gegenteil. Nun aber, als neue Schöpfung in Christus (Vgl. 2Kor 5,17), hatte sich sein Zustand grundlegend geändert. Nun war er sowohl für Philemon als auch für Paulus nützlich geworden.

Sind wir nicht alle ein Spiegelbild dieser Wahrheit? Vor unserer Begegnung mit dem HERRN Jesus Christus waren wir Sklaven der Sünde und unnütz für den HERRN. Doch jetzt, in Christus, sind wir Gottes Meisterwerke – "Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen." (Eph 2,10). So beschrieb Paulus das Potential eines jeden Christusgläubigen: "Wenn nun jemand sich von diesen reinigt, so wird er ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt, nützlich (euchrēstos) dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet." (2Tim 2,21) Aus dieser Wahrheit heraus müssen wir uns alle die Frage stellen: Lebe ich mein Potenzial in Christus aus? Vertraue ich darauf, dass ich alles durch Christus vermag (Phil 4,13), und sammle ich Schätze im Himmel, wo sie ewig Bestand haben (Mt 6,20)?

Die zweite Möglichkeit diesen Vers zusammen zu fassen ist: Der Unnutz (Nichtigkeit) des Menschen. Paulus beschrieb Onesimus als jemanden, der "unnütz" gewesen war. Damit bezog sich Paulus auf die Verfehlungen, die Arbeitseinstellung aber auch auf den Charakter des Onesimus.

Mit diesem geschickten Zug zeigte Paulus, dass er sich des groben und nicht tolerierbaren Verhaltens des Onesimus sehr wohl bewusst war. Mit diesem wollte der Apostel möglichen Gedanken Philemons zuvorkommen, dass er die groben Verfehlungen des Sklaven nicht ernst genug genommen hatte. Im Gegenteil, Paulus machte deutlich, dass Onesimus zu nichts nütze und für alles schlecht war.

In dieser Beschreibung spiegelt sich nicht nur das Leben des Onesimus, sondern auch das von uns allen wider. Jesus sprach: "So auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze (achrēstos) Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren." (Lk 17,10) Mit anderen Worten: Wir sind nicht so gut, wie wir denken! Paulus griff dies im Römerbrief auf und schrieb in Bezug auf den sündigen Menschen: "Alle sind abgewichen, sie sind allesamt unnütz (achrēstos) geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer." (Röm 3,12) Das griechische Verb achrēstos kommt nur in Phlm 11 und in Röm 3,12 im NT vor, während die Substantive achreios in Mt 25,30 und Lk 17,10 zu finden sind. "Unnutz" beschreibt treffend den Zustand all jener, die ohne Christus leben. Um diesem "Unnutz", bzw. dieser Nichtigkeit zu entfliehen gibt Salomo folgenden weislichen Rat: "Fürchte Gott und halte seine Gebote!" (Pred 12,13)

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[1] Paulus verwendete hier ein Wortspiel, indem er darauf hinwies, dass Onesimus zuvor "unnütz" (achrēstos) gewesen war, nun aber "nützlich" (euchrēstos) für ihn und Philemon geworden ist. Dieses Wortspiel verdeutlicht die tiefgreifende Veränderung, die durch die Hinwendung des Onesimus zu Jesus Christus stattgefunden hat.

12 den ich zu dir zurückgesandt habe – ihn, das ist mein Herz;

V 12 | "den ich zu dir zurückgesandt habe" - Das Wort "zurückgesandt" kann zuerst einmal wörtlich bedeuten, dass Onesimus zu Philemon zurückgeschickt wurde. Auf der anderen Seite kann es auch in einem rechtlichen Kontext verwendet werden, um einen Fall an eine höhere Instanz zur Entscheidung weiterzuleiten. William Barclay übersetzt es daher so: "Ich lege dir diesen Fall von Onesimus vor, damit du ein Urteil fällst, das der Liebe entspricht, die du haben solltest."

Hier nannte Paulus Onesimus "mein Herz". Onesimus war Paulus sehr ans Herz gewachsen, und ihn zurückzuschicken fühlte sich an, als würde er einen Teil seines eigenen Herzens weggeben. Paulus identifizierte sich gänzlich mit diesem Sklaven, sodass er in V 17 sogar sagte "wie mich". Mehr Christusähnlichkeit geht nicht! Paulus erinnerte uns hier an die Worte des HERRN Jesus: "Wer euch aufnimmt, nimmt mich auf." (Mt 10,40a). Es gibt kaum eine weitreichendere Wahrheit im NT als die der Identifikation des Erlösers mit den Sündern in Seinem Tod und die Identifikation der Gläubigen mit Ihm in Seiner Auferstehung.

"Wir sollten festhalten, dass hier das wichtige Prinzip der Wiedergutmachung erklärt wird. War es nötig, dass Onesimus zu seinem ursprünglichen Herrn zurückkehrte, da er nun errettet worden war? Die Antwort ist ein eindeutiges "Ja". Die Erlösung nimmt die Strafe und die Macht der Sünde weg, doch hebt sie keine Schulden auf. Der gerade zum Glauben gekommene Christ muss alle unbezahlten Rechnungen begleichen und alles Unrecht wiedergutmachen, soweit es menschenmöglich ist. Onesimus war verpflichtet, in den Dienst seines Herrn zurückzukehren und ihm das Geld (oder sonstiges Eigentum Philemons) zurückzugeben, das er womöglich gestohlen hatte."[1]

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[1] William Mac Donald, Kommentar zum Neuen Testament, S: 1188

13 den ich bei mir behalten wollte, damit er statt deiner mir diene in den Fesseln des Evangeliums.

V 13 | "den ich bei mir behalten wollte" - Paulus hatte Philemon ausdrücklich gebeten, Onesimus wieder aufzunehmen. Doch nun offenbarte er seinem Freund den inneren Konflikt, den er dabei durchlebte. Er sandte Onesimus nicht zurück, weil er ihn loswerden wollte – im Gegenteil! Wie sehr hätte er Onesimus gerne bei sich behalten. Warum schickte er ihn dann dennoch zurück? Genau auf diese Frage wird uns Paulus in der Folge eine Antwort geben.

Der Apostel hatte den Sklaven Onesimus liebgewonnen. Genauso wie Philemon ihm lieb und teuer war, war es nun auch Onesimus – und das aus demselben Grund: Beide waren durch den Dienst des Paulus zum Glauben gekommen. Für Paulus spielten die gesellschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen den beiden keine Rolle. Entscheidend für ihn war allein die Tatsache, dass sie nun in Christus eins geworden waren, so wie wir es in Gal 3,28 lesen: "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus."

Es folgt eine dreifache Begründung des Paulus, warum er Onesimus gerne bei sich "behalten" hätte. Erstens "damit er statt deiner mir diene" - Paulus hatte hier die Wahl zwischen verschiedenen Wörtern, um den Begriff "dienen" auszudrücken. Er hatte sich bewusst gegen das Wort douleuō entschieden, was "als Sklave dienen" bedeutet. Der Apostel wählte stattdessen das höherstehende diakoneō. Dieses Wort, von dem unser Begriff "Diakon" stammt, beschreibt einen höhergestellten, vielfältigen und ehrenvollen Dienst im Werk des HERRN. Damit wollte Paulus sagen: „Ich hätte Onesimus gerne als Diakon und nicht als Sklave bei mir behalten." Diese bewusste Wortwahl zeigt nicht nur die persönliche Wertschätzung, die Paulus Onesimus entgegenbrachte, sondern unterstreicht zudem, wie sehr er dessen Dienst schätzte!

Zweitens "damit er statt deiner mir diene" – Der Gedanke dahinter war, dass Paulus Onesimus als Stellvertreter von Philemon gerne "behalten" hätte. Mit anderen Worten sagte Paulus sinngemäss: „Philemon, ich weiss, dass du, wenn du hier bei mir wärst, meinen Bedürfnissen gerne selbst gedient hättest. Da das jedoch nicht möglich ist, hätte ich deinen Sklaven Onesimus gerne bei mir behalten, damit er an deiner Stelle tun kann, wovon ich weiss, dass du es mit Freude getan hättest."

Drittens "damit er statt deiner mir diene in den Fesseln des Evangeliums." Paulus war ein Leidender, ein Gefangener inmitten von Fremden, die ihm nicht wohlgesinnt waren. Er war alt und war froh um Trost und Ermutigung. In dieser seiner Situation einen treuen und tüchtigen Diener zu haben, wäre wie eine lindernde Salbe Gottes auf den Wunden des Apostels gewesen. Ein solcher Diener hätte sich um seine Mahlzeiten gekümmert, seine Gefangenschaft erleichtert, ihm bei der Körperpflege geholfen und sich in jeder Hinsicht liebevoll um seine Bedürfnisse gekümmert. In vielerlei Hinsicht wäre Onesimus ideal gewesen, um diese Rolle zu erfüllen. Und er hätte dies nicht nur bereitwillig, sondern auch freudig getan, weil die "Fesseln" des Paulus durch seinen Dienst für das "Evangelium" verursacht worden waren - jenes Evangelium, das sogar ihn, den unnützen Sklaven, erreicht und gerettet hatte.

14 Aber ohne dein Einverständnis wollte ich nichts tun, damit deine Wohltat nicht wie gezwungen, sondern freiwillig sei.

V 14 | Paulus wollte von Philemon, dem Eigentümer des Sklaven, keinen Gefallen erzwingen, indem er Onesimus bei sich in Rom behielt. Obwohl Paulus sehr daran interessiert war, Onesimus bei sich zu behalten, entschied er sich bewusst dagegen, dies, ohne das Wissen und die Zustimmung von Philemon zu tun – ein Einverständnis, das er als unverzichtbar erachtete. Niemand hat das Recht, Dinge von Freunden zu erzwingen, besonders nicht gegen ihren Willen. Dadurch werden Freundschaften ausgenutzt und nachhaltig geschädigt.

Zum richtigen Verständnis der Argumentation des Paulus, muss ein besonderes Augenmerk auf die beiden "wollte" in diesem und im vorherigen Vers gelegt werden. Im Original sind diese Verben nicht gleich, weder in ihrer Form noch in ihrer Zeit. Das eine "wollte" (V 13) sprach von einem Wunsch, das zweite "wollte" (V 14) von einer Entscheidung. Das erste offenbarte seine Überlegungen, das zweite seine definitive Entscheidung. D.h. Paulus wünschte sich eines, entschied sich jedoch für ein anderes. Er wollte Onesimus behalten, entschloss sich jedoch, ihn zu seinem Herrn zurückzuschicken. Wie wichtig ist es für uns alle, unsere Wünsche dem Willen des HERRN Jesus unterzuordnen, um das Richtige zu tun!

Zwischen den Zeilen finden wir noch einen anderen Gedanken und der könnte wie folgt formuliert werden: „Ich will Onesimus nicht bei mir behalten, weil das nicht richtig wäre – obwohl ich darüber nachgedacht habe. Wenn du ihn freiwillig zu mir zurückschicken möchtest, wäre mir das Trost und Freude." Hat Philemon Onesimus jemals zu Paulus zurückgeschickt? Diese Frage können wir auf Erden wohl nie endgültig beantworten. Doch angesichts der Botschaft des Philemonbriefes liegt es nahe anzunehmen, dass Philemon Onesimus, nach einem Prozess der Versöhnung und Wiederherstellung, zu Paulus zurückgesandt hat – ähnlich wie die Philipper es mit Epaphroditus getan hatten, den sie als "Abgesandten und Diener seines Bedarfs" (Phil 2,25b) zu Paulus schickten. Die Ewigkeit wird uns diese Frage dereinst beantworten.

E Mehr als einen Sklaven | 15-16

15a Denn vielleicht ist er deswegen für eine Zeit von dir getrennt gewesen, 

V 15a | "Denn" - Dieses Wort verbindet diesen Vers mit dem Vorherigen. Paulus legte nun einen weiteren Grund dar, warum er seinen Wunsch, Onesimus zu behalten, aufgab und ihn zurückschickte. Er sah die Möglichkeit, dass Gott die Flucht des Onesimus zugelassen hatte, um schliesslich eine für alle Beteiligten bessere Situation zu schaffen.

Paulus sagte nicht: "Er trennte sich von dir", sondern: "von dir getrennt gewesen" - Mit dieser Formulierung liess Paulus es bewusst offen, wer diese Trennung ausgelöst und bewirkt hatte. Aus rein menschlicher Sicht war die Situation völlig klar! Natürlich war es der Sklave Onesimus, der seinen Herrn Philemon freiwillig und unschön verlassen hatte, aber der Apostel sah in dieser ganzen Geschichte weit mehr als nur eine menschliche Handlung. Was Paulus hier erkannte, liess ein gänzlich neues Licht auf diese Situation fallen, nämlich die wundersame und unergründliche Vorsehung Gottes!

Onesimus hatte seinen Herrn bestohlen und war davongelaufen - ohne Zweifel ein schweres Vergehen, das eine harte Strafe verdient hätte. Dabei war sein Los im Vergleich zu vielen Sklaven seiner Zeit deutlich besser, hatte er doch mit Philemon einen guten und gütigen Herrn. Doch statt Dankbarkeit zu zeigen, missbrauchte Onesimus diese Güte, bestahl Philemon und floh. Dieses grobe Vergehen des Onesimus an Philemon und seinem Haus hatte Paulus nie beschönigt! Doch nun lenkte der Apostel den Blick des Philemon über die Sonne[1] und verwies damit auf Gottes Vorsehung. Gemeint war, dass Gott selbst das unsägliche Vergehen des Onesimus in Seinen wunderbaren Heilsplan einfügte und somit das Wertlose und Hässliche in etwas Schönes und Nützliches verwandelte. Als Onesimus floh, schien es undenkbar, dass aus seiner Tat etwas Gutes entstehen könnte. Doch Paulus machte deutlich, dass genau das geschehen war. Und was in diesem Fall wahr ist, gilt an allen Orten und zu allen Zeiten.

"Wenn uns jemand Unrecht tut, dann sind wir oft fixiert auf dieses Unrecht und schauen weder nach rechts noch nach links. Es fällt uns in diesem Moment schwer unseren Blickwinkel zu erweitern und besonders an Gottes Wirken zu denken. Mit den Worten "Denn vielleicht" sagt Paulus gewissermassen "Denk doch mal nach, es könnte ja sein…" und gibt Philemon damit den Denkanstoss, dass Gott die Zeit der Trennung für ein viel höheres Ziel genutzt hat, so wie er es den Römern zuvor schon geschrieben hat: "Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind." (Röm 8,28) - An diesem Beispiel können wir prüfen, ob diese Verheissung funktioniert, denn es hat zwei Bedingungen, dass für jemandem alle Dinge zum Guten mitwirken. Erstens muss diese Person gläubig sein ("die nach seinem Vorsatz berufen sind") und zweitens muss diese Person Gott lieben. Philemon war ein treuer Mitarbeiter (V 1) und war bekannt für seine Liebe zum Herrn und seinen Geschwistern (V 5) und daher nutzte Gott die Sünde von Onesimus und verwandelte die ganze Situation in einen Segen für Philemon und viele andere."[2]

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[1] Der Begriff "über der Sonne" meint, die Geschehnisse nicht aus einem rein irdischen Denken verstehen zu wollen, sondern Verständnis in Gottes Heilsplan zu suchen. Dieser Begriff leitet sich ab vom Begriff "unter der Sonne", den Salomo im Predigerbuch wiederholt verwendete, um zu beschreiben, dass ein Leben ohne Gotterkenntnis eitel und nichtig ist (Vgl. Pred 1,2).

[2] Michael Briggeler, Predigtnotizen Philemonbrief

Einschub: Alles muss Gottes Ratschluss dienen, sogar das Böse

Wie wundersam ist doch die Wahrheit, dass alles, was in der sichtbaren wie unsichtbaren Welt geschieht, gezwungenermassen Gottes Ratschluss dienen muss! In Jes 46,9-10 sagt Gott: "Erinnert euch an das Frühere von der Urzeit her, dass ich Gott bin, und sonst ist keiner, dass ich Gott bin und gar keiner wie ich; 10 der ich von Anfang an das Ende verkünde und von alters her, was noch nicht geschehen ist; der ich spreche: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und all mein Wohlgefallen werde ich tun."

Um an dieser Stelle eines von unzähligen Beispielen anzuführen, nehme ich einen Vers aus dem Richterbuch, der nicht nur ein Schlüsselvers des Buches selbst ist, sondern auch der gesamten biblischen Offenbarung: "Und er sprach zu ihnen: Aus dem Fresser kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit." - Im Kontext hier geht es um ein Rätsel, das Simson während seiner Hochzeit den Philistern stellte. Simson bezog sich in seinem für die Philister[1]  unlösbaren Rätsel auf ein persönliches Erlebnis. Er hatte zuvor durch die Kraft des Geistes des HERRN einen Löwen getötet, und als er später zu demselben Ort zurück kehrte, um den Kadaver zu besehen, da war ein Bienenschwarm im Körper des Löwen und Honig (Rich 14,6-9). Aus diesem ungewöhnlichen und für einen Juden nicht angemessenen Ereignis formulierte er sein Rätsel. Das Rätsel und seine Lösung waren folgende gewesen: Aus dem Fresser (Löwe) kam Fraß, und aus dem Starken kam Süßigkeit (Honig)." - Die unmittelbare Bedeutung im Kontext der Geschichte zeigt, dass etwas, das normalerweise Tod mit sich bringt (der Löwe, d.h. der "Fresser"), zur Quelle von Nahrung und Freude (Honig) wird.

Schlüssel zum Buch der Richter: Das Rätsel spiegelt auch thematisch das Buch der Richter wider. Das Buch zeigt, wie Gott inmitten von zunehmendem Glaubensabfall, Chaos, Sünde und Unterdrückung immer wieder Seine rettende Hand ausstreckte. Israel war verstrickt in einem unheilvollen Kreislauf von Sünde und Glaubensabfall. Doch Gott gebrauchte unvollkommene Menschen (wie Simson selbst), um Befreiung zu bringen. Übertragen auf den Rätselvers ergibt das folgende Lösung: Gott bringt aus dem "Fresser" - dem Unterdrücker, dem Chaos, der Sünde, usw. - Speise und Süssigkeit hervor - Errettung und Segen für Sein Volk.

Schlüssel zur göttlichen Offenbarung: Dieser Rätselvers muss auch in einem grösseren biblischen und heilsgeschichtlichen Kontext verstanden werden, nämlich hin auf das vollkommene Erlösungswerk des HERNN Jesus am Kreuz. In diesem Kreuz sehen wir das ultimative Beispiel, wie Gott etwas Gutes aus etwas Unerhörtem und Schändlichem hervorgehen lässt. Denn aus dem Tod ("Fresser") Jesu Christi ("Starken") entspringt für jeden, der glaubt, eine Quelle des ewigen Lebens und der Süsse der unverdienten Gnade Gottes.

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[1] Die Philister sind hier ein Bild auf die sündige, götzendienerische und von Gott abgefallene Menschheit, für die es unmöglich ist, Gottes Erlösungsweg aus eigenem Vermögen heraus zu erkennen (unlösbares Rätsel).

15b damit du ihn für immer besitzen mögest, 16 nicht länger als einen Sklaven, sondern – mehr als einen Sklaven – als einen geliebten Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im Fleisch als auch im Herrn.

V 15b - 16 | "damit du ihn für immer besitzen mögest" – Was Paulus damit meinte, wird nun in diesem Vers dargelegt. Onesimus war nun nicht mehr einfach ein Sklave von Philemon, sondern ein geliebter Bruder. Die Beziehung zu Onesimus vor seiner Flucht war auf die Lebenszeit beschränkt, aber durch seine Bekehrung ist es nun eine Beziehung für die Ewigkeit. Als neue Schöpfung (Vgl. 2Kor 5,17) wurde Onesimus für Paulus überhaupt erst nützlich und für Philemon hatte es sogar einen doppelten Segen, denn Onesimus wird mit der neuen Gesinnung ein besserer Sklave sein ("im Fleisch"), aber auch die Hausgemeinde durch seine Jüngerschaft unterstützen ("im Herrn"). Philemons Angestellter erhielt das ultimative Upgrade, was für ein Segen für Philemon! Daher schrieb Paulus im Brief an die Kolosser nicht von Onesimus als dem Sklaven, sondern als dem geliebten Bruder: "Alles, was mich angeht, wird euch Tychikus kundtun, […] mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, der von euch ist." (Kol 4,7.9a)

Der Begriff "Sklave" (doulos) wird hier zum ersten Mal auf Onesimus angewandt. Bis zu diesem Punkt hatte Paulus diese Bezeichnung bewusst weggelassen. Stattdessen bezeichnete er Onesimus als sein "Kind" und als sein "eigenes Herz" (V 10.12). Doch nun verwendete Paulus das Wort "Sklave", um es in Beziehung zum Begriff "Bruder" zu bringen. Die Identität und die Stellung des Onesimus hatten sich grundlegend verändert - von einem blossen Sklaven hin zu einem geliebten Bruder in Christus.

"nicht länger als einen Sklaven" - Hier ist wichtig zu beachten, dass Paulus Onesimus nicht mit der Bitte an Philemon zurückschickte, ihn freizulassen. Keineswegs! Onesimus sollte an seinen Platz und zu seinen Pflichten im Haus des Philemon zurückkehren, jedoch nun nicht mehr einfach nur als Sklave, sondern als nützlicher und treuer Bruder im HERRN. Hier sehen wir zwei grundlegende Wahrheiten offenbart. Erstens, dass der Gläubige auch nach seiner Bekehrung nicht entbunden ist von den Verpflichtungen gegenüber Staat und Gesellschaft. Zweitens bringt die Hinwendung zu Gott eine innere Veränderung mit sich, die den Christusgläubigen befähigt, seine Aufgaben und Verpflichtungen als Dienst für den HERRN Jesus zu sehen: "Was irgend ihr tut, arbeitet von Herzen als dem Herrn und nicht den Menschen." (Kol 3,23)

"mehr als einen Sklaven – als einen geliebten Bruder" – Dies bedeutete, dass Onesimus zwar weiterhin ein Sklave des Philemon war, aber nun "mehr als ein Sklave", nämlich ein "geliebter Bruder". Dies ist und war eine äusserst spektakuläre Wandlung, welche nur auf der Grundlage des vollkommenen Erlösungswerks des Christus möglich war und ist. Es ist einzig die frohe Botschaft des Evangeliums, die Sklaven und Herren zu Brüdern machen kann. An dieser Stelle soll nochmals auf die Galaterstelle aufmerksam gemacht werden, die besagt: "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus." (Gal 3,28)

D' Onesimus zu Philemon zurückgesandt | 17

17 Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst, so nimm ihn auf wie mich.

V 17 | Mit diesem taktvollen und geschickt formulierten Satz machte Paulus es seinem Freund Philemon nahezu unmöglich, seine Bitte abzulehnen. Die Bitte, die Paulus bereits in V 12 andeutete, ohne sie klar auszusprechen, brachte er hier direkt auf den Punkt. In V 12 sagte er lediglich: "den ich zu dir zurückgesandt habe" - Jetzt jedoch formulierte er es eindeutig: "so nimm ihn auf"!

Zu der Bitte, Onesimus aufzunehmen, fügte Paulus an: "wie mich." - Paulus war sich sicher, dass Philemon ihn selbst freundschaftlich und herzlich aufnehmen würde, und wünschte, dass dieser herzliche Empfang auch Onesimus zuteilwerden sollte. Was Grösseres hätte er für jemanden erbitten können? Paulus bat für jemanden, der als gering und unnützlich angesehen wurde. Doch der Apostel erkannte den Wert des Onesimus, der durch das kostbare Blut des Herrn Jesus reingewaschen und durch die Wiedergeburt befähigt und ausgerüstet worden war zu jedem guten Werk in Christus Jesus (Vgl. 2Tim 3,16-17; 2Thess 2,17).

Ein weiteres Element in dieser Bitte ist besonders bemerkenswert und hatte bei Philemon entsprechendes Gewicht: "Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst." - Das griechische Wort für "Genossen" bedeutet wörtlich "Teilhaber", "Gefährte", "Teilnehmer" oder "Partner". Im gesamten Brief verzichtete Paulus sorgfältig darauf, auf seine apostolische Autorität zu verweisen. Er appellierte nicht auf dieser Grundlage, sondern auf der Grundlage seiner persönlichen Situation, nämlich, dass er alt und Gefangener war und nun, dass er ein Partner ("Genosse") Philemons war. Sie teilten einen gemeinsamen Dienst am Werk des HERRN, waren gleich gesinnt, waren in Freundschaft und Hoffnung eng miteinander verbunden, nahmen gegenseitig Anteil am persönlichen Ergehen und teilten den gleichen lebendigen Glauben an den HERRN Jesus Christus. In all diesem waren sie in Christus als Partner eng verbunden und somit auch verpflichtet, gemeinsam zu handeln. Wenn nicht, wären sie keine wirklichen und echten Partner am Werk des HERRN gewesen.

Beachte hier, wie respektvoll der Apostel formulierte! Er sagte nicht: "Ich bin dein Partner, also nimm Onesimus auf wie mich selbst", sondern: "Wenn du mich nun für deinen Genossen hältst" - Er nahm nichts als selbstverständlich an, sondern überliess es glaubensvoll Philemon. Paulus kannte den Glauben und die Liebe des Philemon und war sich darum der Partnerschaft zwischen ihnen gewiss. Der Apostel vertraute dem Philemon und wartete einfach ab, dass er das Richtige tun wird.

"Die Aussage des Paulus "so nimm ihn auf wie mich" - könnte von den Worten Jesu in Mt 25,44-45 oder durch seine eigene Erfahrung mit Jesus auf dem Weg nach Damaskus (Vgl. Apg 9,4) inspiriert worden sein. Indem er Christen verfolgte, verfolgte Paulus Christus. Indem Philemon Onesimus annahm, nahm er Paulus an. Wahre Liebe ist auf wunderbare Weise gemeinschaftlich und wechselseitig. Unsere Liebe zu Gott zeigen wir dadurch, wie wir einander lieben (Vgl. 1Joh 2,9-11; 4,20)."[1]

Brian Bell weist darauf hin, dass die Bitte des Paulus für Philemon ein Dilemma darstellte – "nimm ihn auf" – (Dilemma): "Wenn er zu nachgiebig war, könnte dies andere Sklaven dazu veranlassen, aus falschen Motiven Christen zu werden. Wenn er jedoch zu hart mit ihm umging, könnte dies sein Zeugnis und seinen Dienst in Kolossä beeinträchtigen."[2]

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[1] Bob Utley, www.freebiblecommentary.org

[2] Brian Bell, www.studylight.org

C' (Für-) Bitte für Onesimus – Philemons Schuld | 18-19

Man könnte meinen, Paulus habe bereits alles Notwendige gesagt. Doch am Ende seines Briefes brachte er noch ein letztes, entscheidendes Argument zugunsten von Onesimus vor. Nachdem er seine Bitte klar formuliert, seinen Wunsch offengelegt und die Situation ausführlich erklärt hatte, sprach Paulus nun den Punkt an, den er bisher zurückgehalten hatte: die Schuld von Onesimus. Zugleich übernahm er - soweit es einem Menschen möglich ist - die Verantwortung dafür.

18 Wenn er dir aber irgendein Unrecht getan hat oder dir etwas schuldig ist, so rechne dies mir an.

V 18 | Als Paulus den Satz mit "wenn" einleitete, war dies keineswegs ein Ausdruck von Zweifel an der Schuld von Onesimus. Vielmehr stellte er den Sachverhalt in einer hypothetischen Form dar, um die Schärfe der Anschuldigung abzumildern. Dass Onesimus tatsächlich Unrecht begangen hatte, stand ausser Frage. Doch Paulus hielt es für unnötig, die Sache härter zu formulieren, als es für die Versöhnung zwischen Philemon und Onesimus erforderlich war. Sein Anliegen war es, Heilung und Wiederherstellung in ihrer Beziehung zu fördern, nicht die bestehende Spannung zu verstärken.

Zum ersten Mal im Philemonbrief anerkannte Paulus das "Unrecht" - die Sünde - des Onesimus. Zunächst wurde das Vergehen eingeräumt, dann konkret benannt: "Philemon, ich weiss, dass Onesimus dir Unrecht getan hat und ich weiss, dass er dir etwas schuldet." Woher wusste Paulus das? Natürlich hatte Onesimus alles gestanden. Durch das Wirken des Heiligen Geistes tat Onesimus Busse und bekannte Paulus seine Sünde. Es gibt keine wahre Umkehr ohne ein wahres Sündenbekenntnis.

Das "Unrecht", das Onesimus Philemon gegenüber begangen hatte, war vermutlich eine Form des Diebstahls. Doch Paulus vermied es bewusst, dieses harte Wort zu verwenden. Stattdessen sprach er allgemein von einer Schuld, ohne das genaue Ausmass oder die Details zu benennen. Wie schon mehrfach betont, wurden die Worte des Briefes sorgfältig und mit Bedacht gewählt. Sie beeindrucken sowohl durch das, was Paulus aussprach, als auch durch das, was er bewusst ungesagt liess.

Alle Sünde ist Unrecht und stellt eine Verletzung des Gesetzes Christi dar. Sünde ist die Ablehnung von Recht. Unter dem Begriff "Unrecht" verbergen sich unzählige Formen, die Sünde annehmen kann - wie Töten, Lieblosigkeit, Stehlen, Lügen oder andere Vergehen. Doch unabhängig von ihrer Form bleibt Sünde immer Unrecht. Unrecht und Recht sind zwei grundlegende biblische Begriffe. Im Licht der Gerechtigkeit Gottes lässt sich jedes Verhalten einem dieser beiden zuordnen. Recht ist der einzige wahre Massstab für unser Handeln, während Unrecht jede Abweichung davon darstellt. Unser Leben und unser Handeln sollten stets von dem Prinzip geleitet werden: "Ob es vor Gott recht ist …" (Apg 4,19b). Es ist dieses Prinzip, dass dem Evangelium zu Grunde liegt. Es ist das ewige Gesetz des Christus, dem wir folgen und uns davor bewahrt, vom Weg des Rechts abzuweichen.

"so rechne dies mir an" – Mit diesen Worten gab Paulus eine schriftliche Schuldanerkennung gegenüber Philemon ab. Dabei legte er eine wichtige Wahrheit dar, die schnell und oft übersehen wird: Das Neue Leben in Christus hebt alte Schulden oder Verpflichtungen nicht auf. Die Tatsache, dass Onesimus Christ geworden war, entband ihn keineswegs von seiner Verantwortung, seine Vergehen wiedergutzumachen. Die Wiedergeburt ist kein Freibrief, um Schulden nicht zu begleichen, gegebene Versprechen nicht zu halten, in der Arbeit nachlässig zu sein oder vergangenes Unrecht nicht wieder gutzumachen.

Ein Sklave hatte vor dem Gesetz keinerlei Ansehen und konnte vor Gericht weder Schuldner noch Gläubiger sein, zumindest nicht gegenüber seinem Herrn. Aber wir wissen, dass das, was rechtlich korrekt ist, biblisch falsch sein kann (wie z.B. Abtreibung) und das, was rechtlich falsch ist, biblisch richtig sein kann (z.B. ziviler Ungehorsam wie in der Geschichte der hebräischen Hebammen Schiphra und Pua in Ex 1,15-21). Gottes Wort steht über der Verfassung und Gottes Gesetz über dem irdischen Gesetz! Onesimus erkannte sehr wohl, dass er als Christ verpflichtet war, Unrecht wiedergutzumachen und seinem Herrn den entstandenen Schaden in irgendeiner Weise zu ersetzen. Aber wie sollte er das tun? Das Geld, das er gestohlen hatte, war ausgegeben, er war ein mittelloser Sklave, wie der Mann im Gleichnis, der "nichts hatte, um zu bezahlen" (Vgl. Mt 18,25a)

Nun trat Paulus für Onesimus ein und sagte zu Philemon: "Stelle mir die Schuld in Rechnung"! Damit übernahm der Apostel die Bürgschaft[1], den entstanden Schaden zu begleichen. Welche Liebe, welcher Glaube! Hier war ein Gefangener, der von den Gaben anderer abhängig war und welcher sich bereit erklärte, die Schulden eines entlaufenen Sklaven zu begleichen.

Erinnert uns das nicht an den HERRN Jesus Christus, der, da wir durch unsere übergrosse Sündenlast hoffnungslos bei Gott verschuldet waren und nichts hatten, womit wir hätten zahlen können, als sündloser Gott-Mensch stellvertretend für uns ans Kreuz ging und dadurch unsere Schuld mit Seinem kostbaren Blut bezahlte und uns in wahre und ewiganhaltende Freiheit entliess? Christus bezahlte eine Schuld, die Er nicht hatte, um eine Schuld zu begleichen, die wir nicht zahlen konnten. Wir alle sind Gottes Onesimi und ohne unseren grossen Bruder und Freund Jesus Christus - was wäre aus uns geworden?

Ich bete an die Macht der Liebe (Text: Gerhard Tersteegen | Musik: Dimitri Bortniansky)

Ich bete an die Macht der Liebe,
die sich in Jesus offenbart.
Ich geb mich hin dem freien Triebe,
womit ich Wurm geliebet ward.
Ich will, anstatt an mich zu denken,
ins Meer der Liebe mich versenken.

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[1] Eine Bürgschaft ist ein Vertrag, bei dem sich eine Person (der Bürge) verpflichtet, die Schulden eines Schuldners gegenüber einem Gläubiger zu übernehmen, falls der Schuldner diese nicht begleichen kann. Sie dient als Sicherheit für den Gläubiger.

19 Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben, ich will bezahlen; dass ich dir nicht sage, dass du auch dich selbst mir schuldig bist.

V 19 | "Ich, Paulus, habe es mit meiner Hand geschrieben" – Der Apostel verpflichtete sich mit Unterschrift, alle Schuld von Onesimus zu bezahlen. Damit stellte Paulus eine Handschrift aus, d.h. jene Art von Schuldbrief, wie sie in Kol 2,14 beschrieben wird. Dies ist eine handschriftliche Verpflichtung, die Paulus freiwillig auf sich nahm und persönlich unterzeichnete, gleich wie es das jüdische Volk am Berg Sinai mit ihrer freiwilligen Zustimmung zum mosaischen Gesetz getan hatte.[1] Bemerkenswert ist auch, dass Paulus in der Lage war, die Schulden von Onesimus zu begleichen. Gelegentlich erhalten wir Einblicke, die zeigen, dass er nicht ohne finanzielle Mittel war. Felix hielt ihn im Gefängnis, in der Hoffnung, ein Bestechungsgeld zu erhalten, um ihn freizulassen (Apg 24,26); zudem konnte Paulus während seiner Gefangenschaft in Rom ein Haus mieten (Apg 28,30).

Nachdem der Apostel sich verpflichtet hatte für die Schulden aufzukommen, drehte Paulus die Sache um und sagte: "dass du auch dich selbst mir schuldig bist." - Paulus erwähnte hier erneut eine Schuld, jetzt aber die Schuld von Philemon ihm gegenüber. Das Wort "schuldig" in diesem Vers ist nicht dasselbe wie das im vorherigen Vers. Dort war es ein anderes Wort, hier jedoch bedeutet es "zusätzlich schulden". Wir fragen uns natürlich, zusätzlich zu was? Die Antwort finden wir im ersten Teil des Satzes: "dass ich dir nicht sage." - Lightfoot merkte an, dass hier ein unausgesprochener Gedanke vorliegt, der, wenn er ausgedrückt worden wäre, folgendermassen lauten würde: "Ich werde es zurückzahlen, obwohl du die Rückzahlung nicht wirklich beanspruchen kannst, denn du schuldest mir viel mehr, als Onesimus dir schuldet, und darüber hinaus dich selbst."

Alles, was Philemons Leben erfüllt und reich gemacht hatte, verdankte er letztlich Paulus. Der Apostel hatte ihn zu Christus geführt - eine Schuld, die Philemon niemals begleichen konnte, wozu er aber auch nicht aufgefordert wurde. Paulus gab Philemon den Hinweis, seinen eigenen Fall mit dem seines Sklaven zu vergleichen. Gemäss den Worten des HERRN Jesus, die besagen: "umsonst habt ihr empfangen, umsonst gebt." (Mt 10,8b) Der Massstab der uneingeschränkten Vergebung gilt für alle Christusgläubigen an allen Orten und zu allen Zeiten! Im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht (Mt 18,21-35) hatte der HERR eindringlich davor gewarnt, Vergebung zu verweigern, gerade weil wir selbst solch grosse und unverdiente Vergebung empfangen haben. Alles, was uns andere schulden, ist nichts im Vergleich zu dem, was wir Gott schuldeten und durch Jesus Christus vergeben bekamen. So dürfen wir zu Recht beten: "und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben." (Mt 6,12)

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[1] Mose legte dem gesamten jüdischen Volk die Worte dar, die der HERR dem Mose auf dem Berg Sinai geboten hatte. Sie antworteten einstimmig: "Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun!" (Ex 19,7-8). In Ex 24 kam es zum endgültigen Bundesschluss. Mose las dem Volk das "Buch des Bundes" (Kol 2,14 – "Handschrift in Satzungen") vor, woraufhin das Volk erneut antwortete: "Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen." (Ex 24,7) Anschliessend besprengte Mose das jüdische Volk mit dem Blut von Stieren als Zeichen des geschlossenen Bundes.

B' Wertschätzung und Gebet | 20-22

20 Ja, Bruder, ich möchte Nutzen an dir haben im Herrn; erquicke mein Herz in Christus.

V 20 | Der Apostel fuhr fort mit den Worten: "Ja, Bruder" - Mit dieser Anrede sprach Paulus Philemon so an, wie er sich wünschte, dass Philemon auch Onesimus sah - als einen Bruder im Herrn (V 16). Hier sei angemerkt, dass es in dieser Welt nur zwei Arten der "Bruderschaft" gibt. Einmal die Bruderschaft der Menschheit, die alle Menschen miteinander in Sünde, Bosheit und Nichtigkeit verbindet und die Bruderschaft der Gnade, die nur aus Christusgläubigen besteht. Dies war ein wichtiges Argument des Paulus im Vorbringen seiner Bitte! Weil Philemon christusgläubig war, war er ein Bruder der Gnade von Paulus; weil Onesimus ein Christusgläubiger geworden war, war er nun ein Bruder der Gnade von Philemon und weil Paulus ein Christusgläubiger war, war er ein Bruder der Gnade von Onesimus. Alle Beteiligten waren also aus Gnade errettet und in Christus eins gemacht worden (Vgl. Joh 17,20-23; 1Kor 12,12-13; Gal 3,26-28; Eph 2,14-16; Kol 3,11). Damit schloss sich der Kreis: Die (Für-) Bitte des Apostels war die Bitte eines Bruders an einen Bruder für einen anderen Bruder.

"ich möchte Nutzen an dir haben im Herrn" - Das Wort "Nutzen" (griechisch: oninemi) kommt sonst an keiner Stelle im Neuen Testament vor und wurde hier von Paulus als Wortspiel eingesetzt. Er erinnerte Philemon an die Bedeutung des Namens seines Sklaven Onesimus, der "hilfreich" oder "nützlich" bedeutet. Onesimus hatte seinem Namen zunächst keine Ehre gemacht, doch Paulus war überzeugt, dass sich dies nun geändert hatte. Er hatte bereits festgehalten: "der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist" (V 11) - Dieser Gedanke wurde nun von Paulus erneut aufgegriffen und gab ihm eine neue zusätzliche Bedeutung. Sinngemäss sagte er: "Philemon, mein Bruder, so wie Onesimus mir von Nutzen war und dir künftig nützlich sein wird, so wünsche ich mir, dass auch du für mich nützlich bist. Er ist dein Onesimus – bitte sei du einer für mich!" Fazit dieser Wahrheit: Mögen alle Christusgläubigen Onesimi sein! Onesimi (nützlich) für den HERRN Jesus, aber auch Onesimi (nützlich) für die Gemeinschaft der Heiligen.

"erquicke mein Herz in Christus." - Diese Aussage verweist zurück auf V 7, wo wir lesen, dass Philemon oft die Herzen der Heiligen "erquickt", d.h. erfrischt, ermutigt, gestärkt und getröstet hatte. Paulus war der Meinung, dass Philemon, wenn er dies für andere getan hatte, nicht zögern würde, es auch für ihn zu tun, was eine grosse Ermutigung für den Apostel wäre! Es würde Paulus enorm trösten, trotz seiner Gefangenschaft, in seinem Dienst erfrischt und gestärkt dranzubleiben. Zu erleben, dass Onesimus wieder aufgenommen wurde, wäre für den alten Paulus ein grosser Trost. So wie es Salomo einst formulierte: "Lange vergeblich auf etwas zu warten, macht das Herz krank. Aber ein Wunsch, der sich erfüllt, ist wie ein Leben spendender Baum." (Spr 13,12)

Ist es nicht auch unsere Berufung als Kinder Gottes, unsere Glaubensgeschwister zu erquicken, zu stärken, zu erfrischen und zu trösten? Indem wir andere erquicken, leisten wir wichtige Hilfe und indem wir erquicken, erfahren wir selbst Erfrischung und Stärkung. Ein freundliches Wort zur rechten Zeit - wie wohltuend kann das sein! Ein Ausdruck von Wertschätzung - wie motivierend und ermutigend ist das! Es mögen oft kleine Gesten sein, doch sind es Gesten, die nachhaltig dazu beitragen, eine geistliche Atmosphäre der Liebe und des Respekts zu schaffen.

21 Da ich deinem Gehorsam vertraue, so habe ich dir geschrieben, und ich weiß, dass du auch mehr tun wirst, als ich sage.

V 21 | In diesem Vers beschrieb der Apostel sein zweifaches Vertrauen in die Liebe und den Glauben des Philemon. Er vertraute auf Philemons Gehorsam und auf seine Grosszügigkeit.

"Da ich deinem Gehorsam vertraue" – Als erstes beschrieb Paulus sein Vertrauen in den "Gehorsam" von Philemon. Wie wir bereits bei der Betrachtung der Verse 8 und 9 festgestellt haben, stellte Paulus in seinem Brief an Philemon bewusst seine apostolische Autorität zurück, um seinen Freund zu überzeugen, "um der Liebe willen" (V 9) zu handeln. Nur an einer Stelle wich er kurz von dieser Haltung ab - nämlich hier, wo er das Wort "Gehorsam" verwendete. Doch auch in diesem Fall wurde das Wort auf eine Weise gebraucht, die frei von Zwang war und den freundschaftlichen und respektvollen Ton des gesamten Schreibens beibehielt.

Als nächstes drückte Paulus sein Vertrauen in Philemons Grosszügigkeit aus: "und ich weiß, dass du auch mehr tun wirst, als ich sage." – Mit diesen Worten brachte Paulus seine Zuversicht zum Ausdruck, dass Philemon seiner Bitte nicht nur widerwillig nachkommen, sondern dies mit Freude und Grosszügigkeit tun wird. Dies nach dem Motto: Grosszügigkeit, nicht nur blosse Zustimmung!

Die Formulierung "mehr tun wirst, als ich sage." wurde bewusst offen gehalten und lässt darum Raum für Philemons eigene Interpretation. Paulus forderte Philemon auf, über das Mindestmass hinauszugehen. Das könnte bedeutet haben, Onesimus nicht nur wieder aufzunehmen, sondern ihn auch freizulassen, ihn als Bruder in Christus anzunehmen und ihn sowohl materiell als auch geistlich zu unterstützen. Indem Paulus Philemon nicht direkt vorschrieb, was er tun sollte, hob er die Bedeutung einer freiwilligen und von Herzen kommenden Grosszügigkeit hervor. Merke: Erzwungene Grosszügigkeit bringt nie das gewünschte Resultat!

22 Zugleich aber bereite mir auch eine Herberge, denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete werde geschenkt werden.

V 22 | Wie aus der Spiegelstruktur des Philemonbriefes hervorgeht, ist dieser Vers mit den Versen 4-7 verknüpft. Im ersten Abschnitt finden wir, wie Paulus den Philemon wertschätzte, während hier in diesem Vers eine Erwartung ausgedrückt wird. Während sich Paulus im ersten Abschnitt auf seine eigenen Gebete für Philemon bezog, geht es nun in diesem Teil um die Gebete von Philemon und seinem Haushalt für Paulus.

Der Apostel näherte sich den letzten Worten seines Briefes an seinen Freund, doch sein Anliegen für Onesimus blieb bis zuletzt im Mittelpunkt. Paulus war fest entschlossen, jede Möglichkeit zu nutzen, um dem geliebten Onesimus eine wohlwollende Rückkehr und einen herzlichen Empfang bei Philemon zu ermöglichen.

Werfen wir nun einen Blick auf den abschliessenden Appell. Dabei wollen wir zunächst den zweiten Teil des Verses betrachten, da der erste vollständig davon abhängt: "denn ich hoffe, dass ich euch durch eure Gebete werde geschenkt werden." - Diese Worte widerspiegeln den Glauben des Paulus in das Gebet. Würde man alle seine Gebete und Verweise auf das Gebet aus seinen Schriften entfernen, welch unermessliche Schätze göttlicher Weisheit würden verloren gehen. Nur schon die Gefängnisbriefe reichen völlig aus, um dies zu belegen:

 Im Epheserbrief betete Paulus, dass der Gott unseres HERRN Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, ihnen den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis Seiner selbst gebe, damit sie, erleuchtet an den Augen ihres Herzens, wissen mögen, welches die Hoffnung Seiner Berufung ist, welches der Reichtum der Herrlichkeit Seines Erbes in ihnen und welches die überragende Grösse Seiner Kraft an ihnen, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht Seiner Stärke ist. (Eph 1,17-19)

Im Philipperbrief betete Paulus, dass ihre Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht, damit sie prüfen mögen, was das Vorzüglichere ist, damit sie lauter und ohne Anstoss auf den Tag Christi und erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit sind, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes. (Phil 1,9-11)

Im Kolosserbrief betete Paulus, dass sie erfüllt sein mögen mit der Erkenntnis Seines Willens in aller Weisheit und geistlicher Einsicht, damit sie würdig des Herrn wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes. Dass sie gekräftigt werden mit aller Kraft nach der Macht Seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden; danksagend dem Vater, der sie dazu berufen hat, Anteil zu haben am ewigen Erbe der Gemeinschaft mit Gott und allen Heiligen. (Kol 1,9-12)

Diese Gebete des Paulus zeigen eindrücklich auf, wie reich sein Gebetsleben gewesen sein muss. Der Apostel war wahrlich ein Mann des Gebets! Er glaubte unerschütterlich an die Kraft des Gebets und wusste, wie wichtig und wirkungsvoll es sein kann. Er sah Gebet als ein unerlässliches Mittel, konkrete Führung und Hilfe von Gott zu erhalten. Wie viel Paulus für andere betete und was er dadurch bewirkte, können wir nur erahnen. Doch wenn er von "meinen Gebeten" (V 4b) sprach, wird klar, dass das Gebet eine zentrale Rolle in seinem Leben spielte. Es war für ihn unverzichtbar.

Folgerichtig erklärte Paulus in diesem Vers, dass er darauf hoffte, aus Rom freigelassen zu werden - und zwar durch die Gebete von Philemon und seiner Hausgemeinschaft in Kolossä – also nicht allein durch die Gebete des Philemon, sondern durch "eure Gebete". Auch wenn Paulus sicherlich selbst schon für seine Freilassung gebetet hatte, erwähnte er es hier bewusst nicht. Stattdessen wollte er die Wichtigkeit der Gebete für ihn von all denen hervorheben, die er zu Beginn des Briefes erwähnte - Philemon, Apphia, Archippus und die Versammlung in seinem Haus (V 1-2).

In diesem Zusammenhang muss aber erwähnt werden, dass Paulus der Bitte für Gebet folgende Worte voranstellte: "denn ich hoffe" – Der grosse Apostel sagte nicht: "Ich weiss"! Er wusste zu jenem Zeitpunkt nicht, ob er aus Rom freigelassen werden wird, obwohl für ihn gebetet wurde. Eine Freilassung hing nicht vom Wunsch seiner Freunde ab, sondern vom Willen Gottes. Paulus glaubte nicht, dass das Gebet ein Mittel ist, um Gott dazu zu bringen, das zu tun, was gut ist, sondern um das freizusetzen, was das Vorzüglichere ist (Phil 1,10a), nämlich das, was dem Willen Gottes entspricht. Der Apostel Johannes erklärte: "Und dies ist die Zuversicht, die wir zu ihm haben, dass, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns hört." (1Joh 5,14) Möge hinter all unseren Gebeten stehen: "Nicht mein Wille, sondern Dein Wille geschehe", dann und erst dann wird ein jedes unserer Gebete erhört werden.

A' Abschlussgruss: Gefangenschaft und Partnerschaft | 23-25

23 Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus,

V 23 | Epaphras wird dreimal im Neuen Testament erwähnt, zweimal im Kolosserbrief und einmal hier in diesem Vers. Paulus stellte ihm ein aussergewöhnlich gutes Zeugnis aus und nannte ihn einen "geliebten Mitknecht" (Kol 1,7a), "treuen Diener des Christus" (Kol 1,7b), und "Knecht Christi Jesu (Kol 4,12a). Er stammte aus Kolossä (Vgl. Kol 4,12) und war leitender Pastor der dortigen Gemeinde. Zudem kann man davon ausgehen, dass er auch pastorale Verantwortung in den Nachbargemeinden in Laodizea und Hierapolis trug. Epaphras hatte Paulus anlässlich seiner dritten Missionsreise in Ephesus predigen gehört und sich so zu Jesus Christus bekehrt. In der Folge wurde Epaphras, zusammen mit vielen anderen aus der Provinz Asia im Glauben unterrichtet (Vgl. Apg 19,9-10). Daraufhin kehrte Epaphras nach Kolossä zurück und gründete dort eine Gemeinde (Kol 1,3-8).

Die Gemeinde in Kolossä sah sich mit einer ganzen Reihe von unbiblischen Einflüssen konfrontiert, die sich mit dem Wort Synkretismus[1] (Vermischung) zusammenfassen lassen. Dies veranlasste Epaphras, nach Rom zu reisen um seinen geistlichen Vater und persönlichen Freund um Rat zu fragen. Dieser Situationsbericht des Epaphras war in der Folge der Anlass für den Brief des Apostels an die Kolosser. Gleichzeitig bot sich dadurch auch die Gelegenheit, Onesimus mit einem Brief an Philemon zurückzuschicken.

Paulus bezeichnete sich selbst in mehreren Gefangenschaftsbriefen als "desmios" (δεσμιος), was "Gefangener" bedeutet (Vgl. Eph 3,1; 4,1; Phil 1,13; Phlm 1+9; 2Tim 1,8). Doch das in diesem Vers gebrauchte Wort verwendete Paulus, um bestimmte Mitarbeiter zu beschreiben, die seine Leiden teilten (Vgl. Röm 16,7; Kol 4,10, Phlm 1,23). So bezeichnete der Apostel Epaphras als "Mitgefangener" (griech. sunaichmalotos). Dieses Wort setzt sich zusammen aus "sun" (mit od. zusammen) und "aichmalotos" was wörtlich "gefangen genommen durch das Schwert" bedeutet. D.h., das Wort "aichmalotos" bedeutet Kriegsgefangener (Vgl. Röm 16,7; Kol 4,10). So sah der Apostel sich und viele seiner Leidensgenossen als Kriegsgefangene Christi Jesu in einem unerbittlichen geistlichen Kampf um Leben und Tod.

Hier sei angemerkt, dass Aristarchus im Kolosserbrief ebenfalls als Mitgefangener von Paulus bezeichnet wird (Kol 4,10). Dies deutet darauf hin, dass seine beiden Freunde, Epaphras und Aristarchus, sich abwechselnd bei Paulus aufhielten und die gleichen Einschränkungen ertrugen - wie etwa die permanente militärische Bewachung, unter der auch Paulus stand. Dieser Umstand wirft ein liebevolles Licht auf die Gefangenschaft von Paulus und die aussergewöhnliche Hingabe seiner Freunde, die ihn in dieser schwierigen Zeit selbstlos unterstützten. Sowohl für den Apostel als auch für seine beiden Freunde war es eine Win-win-Situation nach dem Motto: Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!

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[1] Synkretismus (Vermischung) war seit Anfang der Gemeinde die Waffe Satans, die Wahrheit des Evangeliums zu verschleiern. Satans Bestreben ist es so viel wie möglich von Christus zu vernebeln und Unbiblisches in die Gemeinde, und in das Leben eines Christen hinein zu pflanzen. Das ist in der Gemeinde in Kolossä geschehen. Darum argumentierte Paulus mit der Fülle des Christus, dem Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Die Botschaft des Paulus war klar: Christus genügt!

24 Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter.

V 24 | In seinen Grüssen an Philemon listete Paulus vier Mitarbeiter auf: "Markus, Aristarchus, Demas, Lukas" – diese Namen werden auch im Kolosserbrief erwähnt (Kol 4,10-14), wenn auch nicht in dieser Reihenfolge und jeweils mit einer anderen Betonung. Die Biografien dieser Männer enden nicht alle mit einem Happyend. Hiermit kurz zusammengefasst, was über sie bekannt ist.

Johannes Markus

Johannes Markus, häufig einfach Markus genannt, hatte drei Namen, die jeweils seinen Hintergrund widerspiegelten. Der Name "Markus" stammt vom lateinischen Marcus. Sein hebräischer Name war Johannes, was "Jahwe ist gnädig" bedeutet. Sein dritter Name, Colobodactolus, ist ungewöhnlich und bedeutet auf Griechisch "Wurstfinger", was offensichtlich auf sein äusseres Erscheinungsbild hindeutet.

Markus war ein Jude vom Stamm Levi (Apg 4,36), Barnabas war sein Vetter (Vgl. Apg 4,36, Kol 4,10) und seine Mutter eine gewisse Maria (Apg 12,12). Er hatte einen prominenten Wohnort, denn er wohnte in jenem Haus am Stadtrand, in dessen Obersaal Jesus das letzte Passahmahl feierte (Mk 14,13ff). Dort versammelten sich die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu zum Gebet (Apg 1,12-14), wo an Pfingsten der Heilige Geist über sie kam (Apg 2,1-2) und anschliessend ein Gebetsort der ersten Gemeinde wurde (Apg 12,12). Als Petrus auf wundersame Weise aus dem Gefängnis befreit wurde, begab er sich zum Haus der Maria, welche die Mutter von Markus war. Petrus mag der Anlass zu seiner Bekehrung gewesen sein, weil er ihn seinen "Sohn" nannte (1Pet 5,13). Diese Vater-Sohn Beziehung war in verschiedenster Art und Weise massgebend für das Markusevangelium. Nicht nur war Petrus die Hauptquelle für Johannes Markus, sondern der Apostel verlieh dem Evangelium auch dessen Autorität.

Markus begleitete Paulus und Barnabas auf ihrer ersten Missionsreise, verliess sie jedoch in Perge (Apg 13,13). Der junge Johannes Markus war angesichts des massiven Widerstands überfordert und entmutigt und entschloss sich darum, unverrichteter Dinge nach Jerusalem zurück zu kehren. Als die zweite Missionsreise bevorstand, lehnte Paulus es ab, Markus mitzunehmen. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Paulus und Barnabas, was zu ihrer Trennung führte: Barnabas nahm Markus mit nach Zypern, während Paulus mit Silas weiterzog (Apg 15,37-39).

Später kam es zur Versöhnung zwischen Paulus und Markus. Markus war während der Gefangenschaft des Paulus in Rom an seiner Seite und wurde von Paulus den Kolossern als zuverlässiger Mitarbeiter empfohlen (Kol 4,10; Phlm 24). Von der Todeszelle in Rom aus schrieb Paulus an Timotheus: "Nimm Markus und bring ihn mit dir, denn er ist mir nützlich zum Dienst." (2Tim 4,11b) So könnte man im Kontext des Philemonbriefes festhalten, dass Markus Johannes einst "unnütz" war für den missionarischen Dienst, nun aber Paulus und dem Werk des HERRN "nützlich" geworden ist.

Aristarchus

Aristarchus, dessen Name "bester Herrscher" oder "bester Fürst" bedeutet, war ein enger Mitarbeiter des Apostels Paulus. Er wird erstmals in der Apostelgeschichte erwähnt, während des Aufruhrs in Ephesus. Die Menge, die durch die Predigten des Paulus in grosse Aufruhr gerieten, rissen die Mazedonier Gajus und Aristarchus, die Reisegefährten des Paulus, mit fort (Apg 19,29). Diese gefährliche Situation endete erst, als der Stadtschreiber die Menge beruhigte.

Aristarchus stammte aus Thessalonich in Mazedonien (Apg 19,29; 27,2). Über seinen Hintergrund oder seine Bekehrung haben wir keine konkreten Angaben, doch er wurde ein treuer und überaus geschätzter Begleiter des Apostels Paulus. Nach dem Aufruhr in Ephesus reiste Aristarchus mit Paulus weiter nach Griechenland und Mazedonien (Apg 20,1-4) und war an der Seite des Paulus auf dessen Reise nach Rom (Apg 27,1-2).

Demas

Als nächsten nannte Paulus Demas, dessen Lebenslauf kein gutes Ende nehmen wird. Einst war er ein geschätzter Mitarbeiter des Apostels und diente zusammen mit Markus, Lukas und anderen im Werk des HERRN (Phlm 24). Während der ersten Gefangenschaft in Rom war auch Demas bei ihm und wurde dementsprechend in den Grüssen an die Kolosser erwähnt (Kol 4,14).

Es gibt konkrete Hinweise, dass Demas auch vier Jahre später während der zweiten Gefangenschaft des Paulus anfangs bei ihm in Rom war. Doch dann verliess Demas Paulus in dieser schwierigen Zeit. Paulus schrieb: "Denn Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf lieb gewonnen hat, und ist nach Thessalonich gegangen." (2Tim 4,10) - Das griechische Wort für "verlassen" beschreibt, dass Demas Paulus nicht nur verlassen, sondern ihn regelrecht im Stich gelassen hatte - und das zu einer Zeit, in der Paulus im Gefängnis auf sein Todesurteil wartete. Zudem beinhaltet das Wort Treulosigkeit und Eigeninteresse.

Dieses im Stich lassen bezog sich nicht nur auf Paulus, sondern meinte in tragischer Weise eine Abwendung vom Evangelium. Aus unbekannten Gründen entschied sich Demas, die Welt und ihre Werte über die himmlischen Dinge zu stellen. Paulus zog einen deutlichen Gegensatz zwischen denen, die die Wiederkunft Jesu lieben (2Tim 4,8), und Demas, der sich der Liebe zur Welt hingab (2Tim 4,10). Der Apostel Johannes schrieb in seinem ersten Brief: "Liebt nicht die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm." (1Joh 2,15) Es gibt keinen biblischen Hinweis darauf, dass Demas je wiederhergestellt wurde. Seine Geschichte steht als Warnung für alle, die die zeitlichen scheinbaren Vorzüge dieser Welt den ewigen Reichtümern Gottes vorziehen. In dem Sinn ging Demas den umgekehrten Weg, den Markus ging.

Persönlich zweifle ich an, dass Demas jemals eine Wiedergeburt und somit neues göttliches Leben erfahren hatte. Johannes schrieb: "Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wenn sie von uns gewesen wären, so würden sie wohl bei uns geblieben sein; aber damit sie offenbar würden, dass sie alle nicht von uns sind." (1Joh 2,19) Wir werden es in dieser Welt nie wissen, aber mögen wir erkennen, dass Demas ein mahnendes Beispiel dafür ist, dass ein guter Anfang allein nicht ausreicht - es kommt auf die Treue bis zum Ende an.

Lukas

Lukas, der als "der geliebte Arzt" von Paulus bezeichnet wurde, war ein treuer Mitarbeiter im apostolischen Team des Paulus. Sein Name wird nur dreimal in der Bibel erwähnt (Kol 4,14; 2Tim 4,11; Phlm 24) und entsprechend wenig wissen wir über ihn. Lukas ist der Verfasser des Evangeliums, das seinen Namen trägt, sowie der Apostelgeschichte. Beide Bücher sind an einen gewissen Theophilus gerichtet.

In Apostelgeschichte 16,10 wechselt Lukas in seiner Erzählung zur Verwendung des Wortes "wir", was darauf hinweist, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in Troas Paulus angeschlossen hatte und ihn nach Philippi begleitete. Dort blieb Lukas offenbar für eine Weile zurück. In Apostelgeschichte 20,5 taucht Lukas wieder auf und begleitete Paulus auf seiner Rückreise nach Jerusalem.

Während der zweijährigen Gefangenschaft des Paulus in Caesarea wird Lukas nicht erwähnt. Doch als Paulus nach Rom gebracht werden sollte, war Lukas wieder an seiner Seite (Apg 27,1) und reiste mit ihm nach Rom (Apg 28,16). Während der ersten Gefangenschaft in Rom blieb Lukas bei Paulus und war bei ihm, als dieser die Briefe an die Kolosser und an Philemon schrieb. Auch bei der zweiten Gefangenschaft blieb Lukas, im Gegensatz zu Demas, treu an seiner Seite.

Die lebendigen Schilderungen der Reisen mit Paulus zeigen, dass er nicht nur reiseerfahren gewesen sein musste, sondern auch ein fundiertes Wissen über Navigation und Seefahrt besass. Seine beiden NT-Schriften zeugen von seiner hervorragenden Art der Recherche-, Schreib- und Erzählkunst. Auch sein Schreibstil ist bemerkenswert. Während er z.B. im Vorwort seines Evangeliums (Lk 1,1-4) klassisches Griechisch verwendete, sind an anderer Stelle hebräische Einflüsse klar zu erkennen. Z.B. in Lk 1,5-2,52 oder auch in der hebräischen Spiegelstruktur des Evangeliums.

25 Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist! Amen.

V 25 | Paulus hatte diesen Brief mit der Gnade des Herrn begonnen, und schloss diesen nun mit der Gnade des Herrn! Damit wollte der Apostel verdeutlichen, dass jedes Wort dieses Briefes Gottes Gnade widerspiegelt und ausdrückt. Ein Gott wohlgefälliges Leben fängt erst mit Gottes Gnade an und hat in der Folge nur in Gottes Gnade Bestand.

Der Begriff Gnade (charis) wird oft falsch verstanden oder falsch ausgelegt. Er lässt sich aber am besten als unverdiente Gunst, als wohlwollende Zuwendung Gottes, als Gottes Kraft und als Ausdruck des göttlichen Wesens definieren. Es ist sicherlich nicht falsch zu behaupten, dass Gnade das "grösste" Wort in der Bibel ist, sogar grösser als "Liebe" (Agape), denn Gnade ist Liebe in Aktion und schliesst sie damit ein. So ist es keinesfalls übertrieben zu sagen, dass Gott in keinem anderen Wort Sein Wesen und Sein Herz so offenbart hat wie in dem Begriff Gnade (charis). Gnade ist Gottes unverdiente Gunst sowie Seine übernatürliche Befähigung und Ermächtigung - sowohl für die anfängliche Errettung (Rechtfertigung) als auch für das tägliche Wachstum im Glauben (Heiligung) als auch für die zukünftige Auferstehung (Verherrlichung). Gnade bedeutet, dass Gott alles umsonst gibt - an Menschen, die es sich nicht verdient haben.

Paulus schrieb seinen Freunden in Philippi: "Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken, zu seinem Wohlgefallen." (Phil 2,13) Der Apostel beschrieb hier das allumfassende Wirken der Gnade zu Gunsten des Christusgläubigen. Es besteht darin, dass Gottes Gnade sowohl das "Wollen" (Verlangen) als auch das "Wirken" (Befähigung) gibt, um ein wohlgefälliges Leben vor Gott führen zu können. Unser Verlangen Gott zu lieben und Ihm zu dienen, entspringt allein aus Seiner unverdienten Gnade, denn nichts Gutes kann aus unserem völlig verdorbenen und sündigen Wesen kommen. Es ist Gottes Gnade allein, die uns befähigt, das Gesetz Christi zu erfüllen!

Uns allen ist Gottes Gnade überreich geschenkt worden. Mögen wir darum aus Gottesfurcht und Dankbarkeit heraus, unsererseits allen Menschen Gnade erweisen. Vielleicht dachte Philemon: "Onesimus verdient keine Vergebung!" – und er hätte damit recht gehabt, denn Gnade ist immer unverdient. Mögen wir diese Wahrheit stets vor Augen haben! Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist! Amen.



 

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